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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 3.1898-1899

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Schölermann, Wilhelm: Kunstgewerbliches aus Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6386#0250

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Kunstgewerbliches aus Wien.

»Aus der Wagnerschule«-.
Verlag von ANTON SCHROLL—WIEN.

möbel bleibt unerschwinglich für den einfachen
Bürger; ein englischer Schaukelstuhl nicht.
Es braucht ja nicht immer »Sheraton« zu
sein; ein anderer thut's auch. Ferner war
es von Nutzen, den Wienern zu zeigen, dass
ein Stuhl, den man mühelos mit einem Arm
heben kann, nicht nothwendiger Weise zu-
sammenbrechen muss, wenn man sich darauf
setzt. Die Leute sind so an ihre schweren
Möbel aus weichem Holz gewöhnt — welche
ohne grossen Kraftaufwand von Arm- oder
Rückenmuskeln nicht von der Stelle zubringen
sind — dass sie nur mit scheuem Blick die
»zerbrechlichen «, federleichten englischen
Möbel ansehen, die, aus hartem Holz gearbeitet,
das Verhältniss von Kraft und Leichtigkeit
so vortrefflich zu vereinigen wissen. Diese
Gesichtspunkte sind als Anregung und zur
Erziehung des hiesigen Publikums durchaus
werthvoll und von nicht zu unterschätzender
Tragweite. Es wird sich nun zeigen müssen,
wie viel eigene Kraft und Selbständigkeit die
österreichischen Kunsthandwerker einerseits
als »Produzenten« und die österreichischen
Kaufkräftigen andererseits als »Konsumenten«
haben werden, um aus dem hochentwickelten
englischen Möbelstil soviel zu lernen, dass
sie seine Lehren und inneren Gesetze mit
den lokalen Bedürfnissen, Liebhabereien und
Vorurtheilen in Einklang bringen können.
Denn jeder Mischmasch ist ein Unding. Wenn
ich z. B. einen englischen Stuhl (für ein ein-
faches bürgerliches dinning-room bestimmt)
hernehme, und ihn durch ein Paar »Wiener«
Verschnörkelungen für ein elegantes Wohn-
haus »herrichten« will, so ist das ein himmel-
schreiender Unsinn! Da gibt es nur ein
Entweder-Oder. Entweder rein und streng
englisch, oder selbständige Originalarbeit.
Einfluss kann und darf ja immerhin dabei
sein, nämlich innerer Einfluss, wohlverstanden,
der auf Erkenntniss beruht. Solcher ist durch-
aus erlaubt, ist auch fortwährend an der
stillen Arbeit unter den Menschen und Völkern.
Einwirkung ist noch lange nicht sklavische
Abschreiberei. Wenn aber einmal kopirt
wird, dann auch genau und streng. Eine
gute Kopie ist besser, als ein schwaches
Original, aber allerdings viel schwerer zu
machen, als eine schlechte Kopie!
 
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