A telier-Nachrichten.
227
15. Nov. 1845 zu Wien geboren als Tochter
eines Militärarztes. Wenn man den Ausdruck
»zur Kunst von Geburt an bestimmt« ge-
brauchen darf, hier ist er am Platze. Schon
im 11. Jahre begann sie nach der Natur zu
zeichnen und zu malen, zuerst unter Leitung
van Hanely's (des Schülers von Waldmüller),
dann unter August Schäffer. Bereits mit 14
Jahren machte sie ihre erste Studienreise
nach Böhmen, später nach Siebenbürgen
und Mähren. Was sie damals heimbrachte,
verrieth schon ganz den Karakter ihrer
späteren Bestrebungen, sowohl in der Wieder-
gabe der Naturstimmungen als in der Aus-
wahl ihrer Motive. Drei Winter hindurch
studirte Tina Blau dann in München in der
Schule Prof. Wilh. Lindenschmidt's, dessen
vornehme künstlerische Anschauungen mäch-
tig auf sie einwirkten. Damals hat die
Künstlerin wohl die feste Grundlage zu
ihrem grossen zeichnerischen Können ge-
legt, welches neben der Poesie der Farben-
stimmung aus allen ihren Werken spricht;
nachdem sie tagsüber gemalt hatte, betheiligte
sie sich abends fleissig an den Aktstudien.
Eine ganze Reihe von
Bildern entstand in dieser
Zeit. Eines derselben, ein
Feldblumenstück, erregte
die Aufmerksamkeit des
Oberbauraths Korompay,
des Erbauers des Palais
Zierer in der Alleegasse,
welcher der Künstlerin ver-
schiedene interessante De-
korationsarbeiten für die
innere Ausschmückung
dieses Baues übertrug, z. B.
für das Badezimmer, eine
Glasdecke im Vestibül,
Supraporten u. a. m.
Auf der Wiener Inter-
nationalen Ausstellung des
Jahres 1882 erschien ein
in grossen Dimensionen
gemaltes Bild »Frühling
im Prater«, womit die
Künstlerin die Reihe ihrer
ausgezeichneten Prater-
bilder eröffnete. Dieses
Gemälde hat eine eigenthümliche, »schick-
salsreiche« Lebensgeschichte gehabt. Seine
naturfrische, helle, luftige Behandlungsweise
war für die damalige Zeit noch etwas Un-
erhörtes. Es erregte unter den Wiener
Künstlern allgemeines — Missfallen. Kaum
passirte es die »strenge« Jury; es reisst mir
überall »ein Loch in die Wand!« klagte der
mit dem Hängen betraute Landschaftsmaler.
Nur Hans Makart erkannte und lobte des
Bildes Qualitäten, was um so interessanter
ist, als es seiner eigenen Individualität durch-
aus nicht wesensverwandt war. — Dasselbe
Bild musste erst nach Paris wandern, um allge-
mein anerkannt zu werden. Auf dem nächsten
Salon trug es der Künstlerin die »mention
honorable« und die sehr anerkennende Kritik
der massgebenden französischen Presse ein.
Nun entstand ein Praterbild nach dem
andern. Wir bringen zur Illustration den
»Apriltag« (Seite 221) und die »Herbstsonne«
(Seite 223) beides Werke, deren lichtdurch-
flutete Schönheit und Grösse der Naturauf-
fassung so machtvoll auf mich einwirkt, dass
ich nicht zögere, ihnen die Bezeichnung Meister-
Detail des Wandschirmes Seite 228.
H. LEFLER u. JOS. URBAN.
227
15. Nov. 1845 zu Wien geboren als Tochter
eines Militärarztes. Wenn man den Ausdruck
»zur Kunst von Geburt an bestimmt« ge-
brauchen darf, hier ist er am Platze. Schon
im 11. Jahre begann sie nach der Natur zu
zeichnen und zu malen, zuerst unter Leitung
van Hanely's (des Schülers von Waldmüller),
dann unter August Schäffer. Bereits mit 14
Jahren machte sie ihre erste Studienreise
nach Böhmen, später nach Siebenbürgen
und Mähren. Was sie damals heimbrachte,
verrieth schon ganz den Karakter ihrer
späteren Bestrebungen, sowohl in der Wieder-
gabe der Naturstimmungen als in der Aus-
wahl ihrer Motive. Drei Winter hindurch
studirte Tina Blau dann in München in der
Schule Prof. Wilh. Lindenschmidt's, dessen
vornehme künstlerische Anschauungen mäch-
tig auf sie einwirkten. Damals hat die
Künstlerin wohl die feste Grundlage zu
ihrem grossen zeichnerischen Können ge-
legt, welches neben der Poesie der Farben-
stimmung aus allen ihren Werken spricht;
nachdem sie tagsüber gemalt hatte, betheiligte
sie sich abends fleissig an den Aktstudien.
Eine ganze Reihe von
Bildern entstand in dieser
Zeit. Eines derselben, ein
Feldblumenstück, erregte
die Aufmerksamkeit des
Oberbauraths Korompay,
des Erbauers des Palais
Zierer in der Alleegasse,
welcher der Künstlerin ver-
schiedene interessante De-
korationsarbeiten für die
innere Ausschmückung
dieses Baues übertrug, z. B.
für das Badezimmer, eine
Glasdecke im Vestibül,
Supraporten u. a. m.
Auf der Wiener Inter-
nationalen Ausstellung des
Jahres 1882 erschien ein
in grossen Dimensionen
gemaltes Bild »Frühling
im Prater«, womit die
Künstlerin die Reihe ihrer
ausgezeichneten Prater-
bilder eröffnete. Dieses
Gemälde hat eine eigenthümliche, »schick-
salsreiche« Lebensgeschichte gehabt. Seine
naturfrische, helle, luftige Behandlungsweise
war für die damalige Zeit noch etwas Un-
erhörtes. Es erregte unter den Wiener
Künstlern allgemeines — Missfallen. Kaum
passirte es die »strenge« Jury; es reisst mir
überall »ein Loch in die Wand!« klagte der
mit dem Hängen betraute Landschaftsmaler.
Nur Hans Makart erkannte und lobte des
Bildes Qualitäten, was um so interessanter
ist, als es seiner eigenen Individualität durch-
aus nicht wesensverwandt war. — Dasselbe
Bild musste erst nach Paris wandern, um allge-
mein anerkannt zu werden. Auf dem nächsten
Salon trug es der Künstlerin die »mention
honorable« und die sehr anerkennende Kritik
der massgebenden französischen Presse ein.
Nun entstand ein Praterbild nach dem
andern. Wir bringen zur Illustration den
»Apriltag« (Seite 221) und die »Herbstsonne«
(Seite 223) beides Werke, deren lichtdurch-
flutete Schönheit und Grösse der Naturauf-
fassung so machtvoll auf mich einwirkt, dass
ich nicht zögere, ihnen die Bezeichnung Meister-
Detail des Wandschirmes Seite 228.
H. LEFLER u. JOS. URBAN.