Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

DOI Artikel:
Schliepmann, Hans: Haus "Rheingold" in Berlin: eine Meisterschöpfung von Bruno Schmitz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0019

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hans »Rheingold«, in Berlin.

ist nicht zu leugnen: es handelt sich um
eine Art Experiment; auch ich selbst
werde einen gewissen inneren Zwiespalt
noch nicht völlig los. Da aber in der
Regel der große Künstler mit allen erst
wild bekämpften Neuerungen recht behält,
so wird es Pflicht, gerade hier länger zu
verweilen und einen Weg zum Verständnis
seines Wollens zu suchen.

Metzner ist, das wird bei Betrachtung
der Innenskulpturen ganz unumstößlich,
ein höchst bedeutender und seines eigenen
Weges sicherer Künstler. Und er ist
vornehmlich dekorativer Künstler, aller-
dings aber in einem höchsten Sinne. Auch
Michelangelos Sibyllen sind recht wesent-
lich dekorativ. Und sie geben entschieden
auch den Anknüpfungspunkt für Metzners
Schaffen. Er hat einen wunderbaren Blick
für Raumfüllung und Linienführung und
eine fruchtbarste formale Phantasie; sein
Stoff aber — der Rohstoff nur, sozusagen,
für seine Phantasie — ist der menschliche
Körper, der ihn nicht sowohl als Aus-
druck seelischer Regungen, sondern in
seiner Lineatur, in seinen dynamischen
Erscheinungen interessiert, den er dann
also auch ganz nach seinen Absichten
ohne Rücksicht auf Naturtreue modelt.
Bald wird eine übertriebene Länge ihm
zum Ausdruck mystischer Hoheit, bald
werden die Knöchel einer knorrigen Hand
ihm willkommener Ersatz für eine Quaste,
bald werden übertriebene Muskeln eine
ganze Ornamentik. So sind denn auch
die atlantenartigen Figuren in den ge-
nannten Relieffüllungen lediglich Aus-
druck strotzender Kraft des Tragens,
Gegenstemmens. Nun hätte der aufrechte
menschliche Kopf — der, wenn überhaupt
etwas Dynamisches, so das freie Aus-
klingen, das ungebeugte Aufstreben, das
Nichtbelastete ausdrückt — jene Idee des
Gegenstemmens nicht ohne »Nebentöne«
zum Ausdruck gebracht, die Fläche des
Reliefs hätte gerade am oberen Rande
leere Räume neben dem aufrechten Kopfe

gehabt, während just hier der Künstler
den Konflikt zwischen Stütze und Last
durch das Körperliche, durch Muskelspiel
zum Ausdruck bringen wollte; so beugte
er also den Kopf ganz in die Horizontale,
ließ ihn sozusagen zu einem bloßen heraus-
gestreckten Konsol am Rumpfe werden
und erreichte damit denn auch tatsächlich
eine ungemeine Wucht des Kräfteaus-
druckes. Allerdings aber auch, daß man
zunächst — geköpfte Menschen zu sehen
glaubt, verzerrte Menschen. Das ist Ab-
sicht, nicht Stümperei, und so bleibt die
Frage, ob uns der Künstler zu seiner
Absicht bekehren kann oder nicht. Ver-
gegenwärtigen wir uns zunächst, daß die
alte Ornamentik mit Tierleibern genau
so willkürlich verfahren ist, von den
assyrischen Sphinxen bis zu den zer-
schlissenen Wappenlöwen der deutschen
Renaissance. Bedenken wir ferner, daß
auch der menschliche Körper vielfach als
bloßes dynamisches Symbol bereits in
zahlreichen Karyatiden, Hermen und At-
lanten Verwendung gefunden hat und
daß auch vor halb menschlichen Fabel-
wesen die ältere Kunst und bis zu Böcklin
nie zurückgeschreckt ist. Das »Erlaubte«
in allen diesen Bildungen findet seine
Grenze immer wieder erst da, wo der
Künstler die Macht verliert, uns in seine
Phantasie so hineinzuversetzen, daß wir
ihm das von ihm innerlich Geschaute
glauben. Dieses Glauben aber nun fällt
uns um so schwerer, je fester unsere An-
schauungen durch andere uns wertvolle
Vorstellungen festgelegt sind. So ist es
z. B. bezeichnend, daß die Alten einem
Tisch, einer Bank wohl einen Tierfuß
als Symbol der Beweglichkeit und des
Stehens gaben, nie aber ein menschliches
Bein; daß einzelne menschliche Körper-
teile überhaupt nicht in der ernsthaften
Kunst ornamentale oder symbolische Ver-
wendung fanden. Der Gedanke an das —
»abgeschnittene Glied« hätte Sympathie-
regungen ausgelöst, die den künstlerischen

1907. VII. 2.

9
 
Annotationen