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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Willrich, Erich: I. Graphische Ausstellung des deutschen Künstlerbundes im Deutschen Buchgewerbe-Museum Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0076

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I. Graphische. Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes.

was unsere moderne Graphik kennzeich-
net. Ob die Münchner Neumann, Bechler,
die Österreicher Klemm,Thiemann, Reichel
große farbige Flächen gegen einander
setzen oder Czeschka—Wien und Nolde
—Soest große schwarze Flächen gegen
weiße, läuft wohl schließlich auf ein und
dasselbe hinaus. In beiden Fällen handelt
es sich um das Betonen der Fläche, um
einen breiten Flächenstil im Gegensatz zu
dem strichigen Linienstil früherer Zeit.
Und dieser Flächenstil, mit dem eine ge-
wisse Tiefenwirkung (man möchte sie
koulissenhaft nennen) durchaus verein-
bar ist, entspringt der Absicht, auch auf
weitere Entfernung klar zu wirken, auf
Entfernungen, die über Armeslänge hinaus-
gehen. Das, was unserer neueren Graphik
das Gepräge gibt, ist mit einem Worte
der Zug nach der Wand. Aus der Mappen-
graphik ist Wandgraphik geworden.

Ich glaube gern, daß es Leute gibt
(hie und da muß man sich selbst dazu
zählen), die angesichts dieser — nun sagen
wir aufdringlichen, geräuschvollen Wand-
graphik sich nach den intimen Reizen
jener feinen Blätter sehnen, die die Hand
des Amateurs den sorgsam verwahrenden
Mappen entnahm. Und im Punkte Farbe
werden sie es lieber mit den leichtge-
schminkten Blättern eines Bartolozzi
halten als mit den Arbeiten der Neumann
und Klemm, die sie Plakate schelten
werden. Nun die Sehnsucht ist billig
und das Schelten auch. Es kommt darauf
an, eine so verbreitete Erscheinung wie
die Farbe, die Fläche in der Graphik zu
verstehen, sie in Zusammenhang mit
anderen, bedeutenderen Erscheinungen
unserer Zeit zu bringen. Der Hinweis
auf Japan ist zu bequem und zu leicht-
fertig, womit natürlich nicht bestritten
sein soll, daß hie und da Japan wertvolle
Anregungen gegeben hat. Auch handelt
es sich ja nicht so sehr um die Farbe
als um die Fläche, um die starke Sprache

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überhaupt, die auch von weit her noch
verständlich sein will.

Um das Geheimnis, das allen, die zu
dem Kunstleben unserer Tage innere
Fühlung haben, ohnehin kein Geheimnis
ist, zu verraten: es handelt sich bei der
Farbe, der Fläche in der Graphik um
eine Äußerung des allgemeinen Strebens
unserer Zeit, nach »Architektur«. Auf
»Architektur« ist alles abgesehen, und
so wollen denn auch die Blätter der
graphischen Kunst nicht mehr eine kleine
Welt nur für sich sein, sie suchen Zu-
sammenhang, wollen (um den terminus
technicus zu brauchen) »angewandt« sein.
Es ist kein Zufall, daß die farbige, flächige,
dekorative Graphik gerade in Deutsch-
land am stärksten in Blüte steht, und in
Deutschland wiederum in München und
Wien, den Hauptstätten der jungen deko-
rativen, architektonischen Bewegung. Es
mag viel Irrtum, besser Übertreibung in
unserer modernen Graphik sein. Da aber
diese ihre Übertreibung nichts anderes ist
als ein Zeugnis dafür, daß auch sie, die
Graphik von dem besten Kunstwollen
unserer Zeit beseelt ist, so mag sie ihr
vergeben sein. Ist erst das Endziel, die
Architektur erreicht, so wird auch die
Graphik von selber zu intimerem Wirken
zurückkehren. Bis dahin aber wollen wir
uns durch die Einwände einer schließlich
ja doch nur nebelhaften Normal-Graphik-
Ästhetik die Freude an den mannigfachen
geschmackvollen Erzeugnissen unserer
Tage nicht verkümmern lassen.

Wir beginnen unsere Wanderung durch
die Ausstellung, die selbstverständlich
nicht nur »Wandgraphik« enthält, mit
Berlin. Besonders stark und eindrück-
lich ist hier Käthe Kollwitz vertreten.
Die Jury hat ihr einstimmig den Villa-
Romana-Preis zuerkannt. Sie ist die Frau
eines Armenarztes im Norden Berlins,
hat Mühe und Leiden kennen gelernt.
Aber es ist nicht dieses sich ergebende,
 
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