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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Breuer, Robert: Vom Schönschreiben und der typographischen Regiekunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0101

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Vom Schönsekreiben und von der typographischen Regiekunst.

Vom Schönschreiben und von der typographischen Regiekunst.

Die kunstgewerbliche Renaissance schenkt
der Handschrift ständig mehr Aufmerk-
samkeit. Immerhin wird auch heute noch
nicht jedermann sofort einsehen: was die
primitive Funktion des Schönschreibens mit
dem Kunstschaffen zu tun hat. — Ich will
den Skeptiker bekehren und bitte ihn, sich
diesen Denkmalsblock anzusehen, er trägt eine
Inschrift . . . schwer zu lesen, tolle Hiero-
glyphen . . . warum? alles ist kantig und grad-
linig und oben darauf steht ein preußischer
Militär, warum dann aztekische Schnörkel?
ob der Bildhauer das selbst zu verantworten
hat, oder ob er's dem Steinmetz überlassen;
hätte er nicht für einen Zusammenklang von
Block und Schrift, von Ornament und Orna-
ment-Träger, sorgen sollen! Bitte, ein zweiter
Steinblock . . . Moltke, es ist klar zu lesen;
aber warum tanzen die Buchstaben und warum
sind sie mit so geringem Sinn für Gliederung auf
die Fläche gesetzt? Bitte, die Wand eines
kirchlichen Innenraumes, gotisch; über der
Tür: Sakristei in Antiqua . . . seltsame Disso-

nanz, ob der Architekt oder der Dekorations-
maler das mit Überlegung getan hat? Am
Fries leuchten Sprüche: die Aufers tehung. . .
warum das st nicht zusammensteht? . . .
G o ttes . . . warum das o wie ein Spreng-
mittel wirkt? Bitte, ein Taschentuch, welch
entzückendes Monogramm: BG, nein RS, nein
BG . . . donnerwetter. Und nun hier sehr
deutlich: LG, aber wie langweilig, welch
häßliche Schablone. Jetzt ein Zeitungsblatt,
Annoncen im blöden Einerlei . . . holla, was
lockt das Auge immer wieder nach derselben
Stelle, ein interessantes Nebeneinander von
schwarz und weiß, ein kräftiger Rhythmus,
ein Ornament, das sich bei genauem Hin-
sehen als Schrift aufrollt, ein kleines typo-
graphisches Kunstwerk, das durch seine knappe
und prägnante Formensprache im Gedächtnis
haften wird . . . Unser Skeptiker ist gewiß
längst bereit, den Wert des Schönschreibens
für den Kunst- und Gewerbe-Betrieb anzu-
erkennen.

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