Das Ijiben im Gerät.
dieser Kräfte zu erfassen. Wenn also etwa Lieber-
mann seine Bilder „kanalisiert", so stößt er
gewissermaßen die Menschen darauf, die Drei-
dimensionalität der Welt zu erleben, oder wenn
er einen Knabenkörper mit ein, zwei modulierten
Strichen auf die Leinwand setyt, so kann dies
nur begriffen werden als sichtbar gewordenes
Temperament des durch die Welt und das Dasein
eilenden Großstädters. Oder wenn van üogh
ein Ährenfeld dadurch gibt, daß er das Natur-
objekt auf ein Bewegungs-Ornament reduziert,
auf schwingende Farbrillen, die nichts von der
vegetabilen Form zeigen, und die dennoch mit
zwingender Gewalt das Rauschen und Wogen
des Ährenfeldes zur Wahrheit werden lassen —
so ist das eben die Darstellung jener wesent-
lichen Kraft, die in dem Ährenfelde lebt, und
der gegenüber alle Einzelformen bedeutungslos
sind. Das Objekt ist nebensächlich; das Leben
soll dargestellt werden, auf daß es Leben zeuge. —
Besonders das Kunstgewerbe strebt danach, den
Kräften, die in den einzelnen Gegenständen ruhen,
einen klaren und deutlichen Ausdruck zu ge-
winnen. Der große Reinigungsprozeß strich
alles fort, was nicht dazu diente, Funktionen
zum Ausdruck zu bringen, also alle Ornamente,
die nur um ihrerselbst da waren, die dem kon-
struktiven Leben des Gerätes widersprachen oder
auch nur von diesem nicht bedingt wurden.
Ohne Übertreibung kann man sagen : Das Ringen
um die Klarlegung der Funktionswerte im Gerät
ist das Grundwesen der modernen Reform. Es
ist darum unbegreiflich, wie man*) übersehen
kann, daß jeder moderne Stuhl, jeder Schrank,
jedes Treppengeländer die unverkennbare Dar-
*) Wie dies Adolf Vogt im Maiheft der »Innen-Dekoration* getan
hat: Seite 152. — Der Verfasser scheint überdies den »Jugendstil«
als noch lebendig zu glauben. Der ist tot, wenn er überhaupt je
gelebt hat.
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dieser Kräfte zu erfassen. Wenn also etwa Lieber-
mann seine Bilder „kanalisiert", so stößt er
gewissermaßen die Menschen darauf, die Drei-
dimensionalität der Welt zu erleben, oder wenn
er einen Knabenkörper mit ein, zwei modulierten
Strichen auf die Leinwand setyt, so kann dies
nur begriffen werden als sichtbar gewordenes
Temperament des durch die Welt und das Dasein
eilenden Großstädters. Oder wenn van üogh
ein Ährenfeld dadurch gibt, daß er das Natur-
objekt auf ein Bewegungs-Ornament reduziert,
auf schwingende Farbrillen, die nichts von der
vegetabilen Form zeigen, und die dennoch mit
zwingender Gewalt das Rauschen und Wogen
des Ährenfeldes zur Wahrheit werden lassen —
so ist das eben die Darstellung jener wesent-
lichen Kraft, die in dem Ährenfelde lebt, und
der gegenüber alle Einzelformen bedeutungslos
sind. Das Objekt ist nebensächlich; das Leben
soll dargestellt werden, auf daß es Leben zeuge. —
Besonders das Kunstgewerbe strebt danach, den
Kräften, die in den einzelnen Gegenständen ruhen,
einen klaren und deutlichen Ausdruck zu ge-
winnen. Der große Reinigungsprozeß strich
alles fort, was nicht dazu diente, Funktionen
zum Ausdruck zu bringen, also alle Ornamente,
die nur um ihrerselbst da waren, die dem kon-
struktiven Leben des Gerätes widersprachen oder
auch nur von diesem nicht bedingt wurden.
Ohne Übertreibung kann man sagen : Das Ringen
um die Klarlegung der Funktionswerte im Gerät
ist das Grundwesen der modernen Reform. Es
ist darum unbegreiflich, wie man*) übersehen
kann, daß jeder moderne Stuhl, jeder Schrank,
jedes Treppengeländer die unverkennbare Dar-
*) Wie dies Adolf Vogt im Maiheft der »Innen-Dekoration* getan
hat: Seite 152. — Der Verfasser scheint überdies den »Jugendstil«
als noch lebendig zu glauben. Der ist tot, wenn er überhaupt je
gelebt hat.
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