Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

DOI Artikel:
Breuer, Robert: Die unsichtbare Persönlichkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0249

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE UNSICHTBARE PERSÖNLICHKEIT.

Eine Zeit lang galt die Persönlichkeit, die
, »persönliche Note« für das höchste
Wertmaß aller Kunst. Man lebte damals unter
der Nachwirkung des kühnen Zarathustra;
man wehrte sich gegen die gleichmachende
Tendenz des Sozialismus. Man hatte sich
wieder einmal darauf geeinigt, die Wahrheit
in der Mitte zu sehen. (Statt in der Tiefe.)
Zwischen dem Übermenschen und dem Bebel-
schen Ideal stand die Persönlichkeit. Ein
überaus unklarer Begriff und in seiner Dehn-
barkeit gar gefährlich. Eine Popularisierung
und Verwässerung Nietzsches: man verab-
scheute den himmelstürzenden Giganten; aber
Groß und Klein war sich der Künstlerwürde
voll bewußt, jeder Gelegenheitsdichter glaubte
an ein angeborenes Recht auf ungehemmte
Äußerung seiner Eigenart. Es lag etwas
Krampfhaftes in diesem ganzen Persönlich-
keitskultus. Man überschätzte die vorhandenen
Fähigkeiten; man übersah, daß die Weltlage,

die Politik, die Ökonomie und die Technik
den Einzelnen zur Seite wiesen und dafür
der durch gleiche wirtschaftliche Lage und
gleiche Bildung zusammengehaltenen Gesell-
schaftsschicht die Herrschaft auslieferten.
Dieser Irrtum war doppelt gefährlich in einer
Zeit, die danach strebte, einen neuen Stil zu
schaffen. Bald wurden wir mit einer Fülle
der absonderlichsten Gebilde beglückt, die
sämtlich vorgaben: der neue Stil zu sein.
Man schien vergessen zu haben, daß ein Stil
niemals von einem Einzelnen geschaffen werden
kann, daß er vielmehr das logische und not-
wendige Produkt eines Volkes und dessen
Lebensart ist. Gewiß, für die verschiedenen
Künste variiert die Unbedingtheit dieser
national-temporären Grenzen. Der Maler und
Bildhauer hat größere Freiheit; dennoch ist
auch er gebunden, schon darum, weil er
(wenn auch verfeinert) die Augen, Nerven
und Muskeln seiner Umwelt hat. Im letzten

1907. XI. 1.

241
 
Annotationen