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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Scheffers, Otto: Schreiben und Zeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0326

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Schreiben und Zeichnen.

des Menschen aus. Goethes Aussprüche über
den Einfluß des Zeichnens auf den Geist
sind zu bekannt, als daß sie wiederholt zu
werden brauchten.

Wie der Schriftsteller eine »Disposition«,
so macht der Zeichner bei Beginn der Arbeit
eine »Anlage«, indem er mit leichten Strichen
den zur Verfügung stehenden Raum einteilt,
die Hauptmassen blockiert, wobei es neben-
sächlich ist, ob er etwas wirklich oder nur
innerlich Geschautes zum Ausdruck bringt.
Beide, Schriftsteller und Zeichner, füllen darauf
die abgesteckten Räume mit dem für sie ge-
dachten Inhalt aus, jener mit Sätzen, dieser
mit sichtbaren Formen, beide geben diesem
Inhalte zuerst eine rohe, vorläufige Nieder-
schrift, um sie alsdann in aller Ruhe immer
feiner und feiner durchzuarbeiten, beide über-
blicken von Zeit zu Zeit das Ganze, entfernen
und verschieben einzelne Teile, fügen neue
ein, untersuchen, ob sie zu einander im richtigen
Verhältnis stehen, sich auch gegenseitig zur
Erfüllung des Hauptzweckes, d. i. die Heraus-
arbeitung eines klaren Gedankens, unterstützen,
ob die einen auch bescheiden zurücktreten,
andere entsprechend auffallen, ob sie sich
nicht zu oft wiederholen, usw.

Dabei unterlaufen beiden dieselben Arten
von Fehlern: Denkfehler, grammatische,
orthographische und Stilfehler.

An Denkfehler der Schriftsteller braucht
nicht erinnert zu werden, sogen. Stilblüten,
die auf Mangel an folgerichtigem Denken be-
ruhen, sind allen bekannt. Sie weiden vom
»gebildeten Publikum«, das ja durch unsere
eigentümliche Art der Schulorganisation seit
alters her einseitig auf sprachlichen Ausdruck
dressiert ist, viel leichter als zeichnerische
Denkfehler erkannt. Solche Fehler macht
bereits das Kind, wenn es ein Gesicht im
Profil darstellt und dabei dem Kopf zwei
Augen gibt oder wenn es auf der Zeichnung
eines Hauses mit rechteckigem Grundriß
gleichzeitig die Vorderseite und die beiden
Giebelseiten anbringt. Der vorgeschrittenere
Schüler stellt zwei hintereinanderstehende und
seitlich gegeneinander etwas verschobene
zylindrische Gefäße oft so dar, daß, wenn
man den noch teilweise sichtbaren Boden des
entfernteren Gefäßes vollends auszeichnete,
dieser den nach hinten zu vervollständigten
Boden des näheren Gefäßes schneiden würde
als ob die Gefäße nicht neben, sondern zum
Teil ineinander stünden. Die auf eine wage-
rechte Unterlage fallenden Schlagschatten eines
Buches, eines Gefäßes, eines Kastens werden

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von Anfängern regelmäßig zu breit gezeichnet,
wie wenn Buch, Gefäß, Kasten nach der
Tiefe zu die doppelte oder dreifache Aus-
dehnung hätten. Das sind ein paar elementare
Beispiele, herausgegriffen aus Hunderten, welche
alljährlich in der Schule gemacht werden und
uns auch auf Kunstausstellungen vielfach als
alte Bekannte entgegentreten.

Den Denkfehlern nahe verwandt sind die
Fehler, welche von mangelndem Verständnis
der Funktionen des dargestellten Objektes
und der Kräfte zeugen, welche bei Entstehung
des Objektes wirksam gewesen sind. Ein
Zeichner, der keine geologischen Kenntnisse
besitzt, wird z. B. Gebirgsformationen im all-
gemeinen fehlerhafter, jedenfalls charakter-
loser darstellen als einer, der sich mit dem
Studium der Erdgeschichte befaßt hat. Der-
artige Fehler entsprechen den Fehlern des
Schriftstellers, die aus Mangel an Sachkenntnis
hervorgehen. Der eine sucht sie gern durch
Phrasen, der andere durch flotte Technik,
durch Krafthuberei, übertrieben glatte Strich-
führung, durch Verschwommenheit der ganzen
Darstellung — alias Mystizismus — oder
andere Mätzchen zu verdecken.

Die grammatischen Fehler des Schrift-
stellers verstoßen gegen die durch langjährigen
Gebrauch geheiligten Regeln über den Bau
der Sprache, die grammatischen des Zeichners
gegen die aus Erfahrung geschöpften Gesetze
der Zeichenkunst. Es gehören dahin nament-
lich die Verstöße gegen die Perspektive, wenn
sie nicht aus diesem oder jenem triftigen
Grunde bewußt gemacht wurden. Eine ganze
Mustersammlung solcher Fehler findet sich in
dem bekannten satirischen Bilde Hogarths.

Den orthographischen Fehlern des Schreibers
entsprechen die graphischen des Zeichners. Es
sind die Fehler, welche sich auf Unbeholfen-
heit in der »Mache« zurückführen lassen,
also die rein technischen Fehler. Im Grunde
genommen sind es die belanglosesten, sie
machen aber trotzdem dem Anfänger, genau
so wie dem ABC-Schützen die orthographischen
Fehler, die meisten Sorgen.

Endlich die Stilfehler! Sie sind die Folgen un-
klarer Vorstellung vom Zweck des zu schaffenden
Werkes und mangelhafter Beherrschung alles
dessen, worauf es eigentlich ankommt, des
geistigen Inhaltes, welcher zur Darstellung
gebracht werden soll, der Technik, welche
mit Rücksicht auf Material und Werkzeug
anzuwenden ist, der Kunstregeln usw. Der
Stil hat im Bildwerk dieselbe Bedeutung wie
in der Schrift, alle großen Bildner haben
 
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