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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 20.1907

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Rauch, Christian: Cipri Adolf Bermann, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.9555#0334

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Dr. Christian Raucli—Gießen :

C. A. HERMANN.

Marmor-Figur: »Auf der Höhe

Postamenten der Bildwerke die Dunkelheits-
Cäsuren für den hellen Raum. Architek-
tonisch mußte es das Bestreben des Künstlers
sein, den Raum so zu teilen, daß er trotz
der Kleinheit der Wandflächen und mit Rück-
sicht auf die wenigen Lichtquellen, die eine
Einzelbeleuchtung nicht hergaben, seine
Werke gruppenweise stellen konnte. Das ge-
schah durch Nischeneinbauten.

Allein und erhöht in eine Bogen-Nische
gestellt, in der die Reflexe dämmerhaft durch-
einanderspielen, »das Erwachen zum
Weibe« (Abb. S. 322). Auf den Pfühl hin-
gestreckt der noch jungfräuliche, noch herbe
aber fast überreife Leib, auf dessen Füße der

Genius des Begehrens, schemenhaft wie
ein Traumbild gestaltet, seine Lippen
preßt. In dem Gesicht ist jede Fiber
voll brünstiger Erwartung bis zu einem
fast brutalen Ausdruck gespannt. Ein
wundervoller glatter, weißer Marmor.

— Der Christus (Abb. S. 323) ist für
mich das zukunftvollste Werk für Ber-
manns Art. In manchem seiner Werke
klingt leise Klassizismus nach. Und ich
glaube, daß der deutsche Bildhauer den
Klassizismus überwinden, ganz abwerfen
muß und daß Hildebrand kein Pfad-
finder für uns ist. Dieser Christus
ist deutsch im Material, im Holz, in dem
Veit Stoß und Adam Kraft und Grüne-
wald , der Bildhauer des Isenheimer
Altars in Colmar schufen, dieser Christus
ist deutsch in der eindringenden psycho-
logischen Charakteristik des feinen Dulder-
kopfes voll herbtrauriger asketischer
Hoheit, der weisenden Bewegung der
zarten Hand. — Zwei mondaine Köpfe
(Abb. S. 324): Der Porträtkopf herber
schärfer, charakteristischer interessanter
mit dem reichen, schön angesetzten
Haarkörper und dem eckig orienta-
lischen Zug um Augen und Mund;
breiter und schwächer trotz des Sym-
bols von Rose und Horn der Kopf der
modernen Sphinx. (Besser als dieser
auch ein dritter jugendlicher, großzügiger
weibliche Porträtkopf mit wundervoll
stilisiertem Haar, gehoben durch das
Material eines gelblichen von feinen
blauen Adern durchzogenen Marmors.)

— Grübelnde Züge — es sind Künst-
ler des 19. Jahrhunderts, in denen
das Gelehrtentum so stark war neben
dem Künstlerischen — in den Köpfen
der Büsten von Emanuel Seidl und

Humperdinck, auch in denen von Lenbach
und Häckel. Diese Züge kompliziert bei
Seidl durch straff zusammengefaßte geschäft-
liche Energie, bei Humperdinck durch stille
Weichheit, bei Häckel und Lenbach durch
Herrschergefühl, bei Häckel trotz des voll-
runden Körpers freier und leichter, bei Lenbach
ernster und schwerer. Vielleicht hätte ein
Techniker wie Bermann es doch versuchen
sollen, auch bei Häckel und Lenbach die
moderne Kleidung zu stilisieren, ohne dem
monumentalen Charakter der Gestalten etwas
zu vergeben; bei Humperdinck und Seidl ist
ihm dieses Problem, allerdings ohne monu-
mentale Absicht, voll geglückt.

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