Geschmack, Erziehung und Charakter.
ARCH. FRITZ AUG. BREUHAUS-DÜSSELDORF. HAUS ZUM BUSCH. STRASSENSEITE.
GARTENSTADT MEHRERRUSCH B. DÜSSELDORF.
Knaben im späteren Leben viel weniger hinder-
lich als dem Mädchen, weil bei ihm Geschmacks-
und Charakierf ragen sich nicht so innig berühren
wie eben beim weiblichen Geschlechte. Des-
wegen kümmert sich auch die weibliche Jugend
viel früher und mit ganz anderem Ernste um
Dinge des Geschmackes als die männliche. Ge-
wiß ist es auch unserem Jungen nicht ganz
gleichgültig, was für einen Sonntagsanzug er
erhält. Was aber will das bißchen Eitelkeit
gegenüber dem Eifer bedeuten, mit dem das
Schwesterlein die Frage der eigenen Kleidung
sofort anwendet auf die Toilette seiner Puppe!
Man muß die kleine Eva beobachtet haben, wie
scharf sie in dieser Hinsicht aufmerkt, mit
welchem Ernste sie nachahmt, was ihr für schön
gilt und das verabscheut, was ihr häßlich scheint,
um die Bedeutung zu erfassen, die ein Ein-
greifen in diesem Punkte für die ganze spätere
Entwicklung haben kann.
Alles Äußerliche der Erscheinung ist von
irgend einer Weise Ausdruck eines Wesens,
eines Willens. Auch in unserer Art der Klei-
dung — vornehmlich in der variationsfähigen
weiblichen — liegt ein gutes Stück Charakter
und Denkart sozusagen kristallisiert. Was wir
Geschmack nennen — und für unsere Klein-
sten kommen zunächst nur Kleidungsstücke als
Gegenstände des Geschmacks in Betracht —
ist untrennbar verbunden mit altererbten Cha-
raktereigentümlichkeiten, mit Schwächen und
Tugenden aller Art. Das müssen wir uns klar
machen, um zu verstehen, wie das heranwach-
sende Kind mit all den Modetorheiten ein gutes
Stück falsche Kultur einatmet, wie es umgekehrt
aus einer vernünftigen, schönen Kleidung her-
aus in eine gesunde Lebensauffassung hinein-
wachsen kann. Ich kenne Mütter, die ihre vier-
bis fünfjährigen Töchter in der widersinnigsten
Weise ausputzen mit allerlei wertlosem Flitter.
Ganz abgesehen von der unnützen Tortur, die
sie den armen Kleinen durch künstliches Locken
und Brennen der Haare, durch unmenschlich
große Schleifen, steife Wäsche, enge Stiefelchen
und dergl. direkt antun, abgesehen auch von
der Qual, die sie ihnen indirekt zufügen durch
Gebote und Verbote: Daß du mir ja das Haar
nicht verwirrst, die Schleife nicht verlierst, den
Kragen nicht beschmutzest .... abgesehen von
alledem, begeht eine solche Mutter unbewußt
98
ARCH. FRITZ AUG. BREUHAUS-DÜSSELDORF. HAUS ZUM BUSCH. STRASSENSEITE.
GARTENSTADT MEHRERRUSCH B. DÜSSELDORF.
Knaben im späteren Leben viel weniger hinder-
lich als dem Mädchen, weil bei ihm Geschmacks-
und Charakierf ragen sich nicht so innig berühren
wie eben beim weiblichen Geschlechte. Des-
wegen kümmert sich auch die weibliche Jugend
viel früher und mit ganz anderem Ernste um
Dinge des Geschmackes als die männliche. Ge-
wiß ist es auch unserem Jungen nicht ganz
gleichgültig, was für einen Sonntagsanzug er
erhält. Was aber will das bißchen Eitelkeit
gegenüber dem Eifer bedeuten, mit dem das
Schwesterlein die Frage der eigenen Kleidung
sofort anwendet auf die Toilette seiner Puppe!
Man muß die kleine Eva beobachtet haben, wie
scharf sie in dieser Hinsicht aufmerkt, mit
welchem Ernste sie nachahmt, was ihr für schön
gilt und das verabscheut, was ihr häßlich scheint,
um die Bedeutung zu erfassen, die ein Ein-
greifen in diesem Punkte für die ganze spätere
Entwicklung haben kann.
Alles Äußerliche der Erscheinung ist von
irgend einer Weise Ausdruck eines Wesens,
eines Willens. Auch in unserer Art der Klei-
dung — vornehmlich in der variationsfähigen
weiblichen — liegt ein gutes Stück Charakter
und Denkart sozusagen kristallisiert. Was wir
Geschmack nennen — und für unsere Klein-
sten kommen zunächst nur Kleidungsstücke als
Gegenstände des Geschmacks in Betracht —
ist untrennbar verbunden mit altererbten Cha-
raktereigentümlichkeiten, mit Schwächen und
Tugenden aller Art. Das müssen wir uns klar
machen, um zu verstehen, wie das heranwach-
sende Kind mit all den Modetorheiten ein gutes
Stück falsche Kultur einatmet, wie es umgekehrt
aus einer vernünftigen, schönen Kleidung her-
aus in eine gesunde Lebensauffassung hinein-
wachsen kann. Ich kenne Mütter, die ihre vier-
bis fünfjährigen Töchter in der widersinnigsten
Weise ausputzen mit allerlei wertlosem Flitter.
Ganz abgesehen von der unnützen Tortur, die
sie den armen Kleinen durch künstliches Locken
und Brennen der Haare, durch unmenschlich
große Schleifen, steife Wäsche, enge Stiefelchen
und dergl. direkt antun, abgesehen auch von
der Qual, die sie ihnen indirekt zufügen durch
Gebote und Verbote: Daß du mir ja das Haar
nicht verwirrst, die Schleife nicht verlierst, den
Kragen nicht beschmutzest .... abgesehen von
alledem, begeht eine solche Mutter unbewußt
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