Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

DOI Artikel:
Müller, Esther: Geschmack, Erziehung und Charakter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0118

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Geschmack, Erziehung und Charakter.

ARCHITEKT FRITZ AUG. BREUHAUS - DÜSSELDORF.

BLICK IN DAS DAMENZIMMER IM HAUSE ERLENHOF.

notwendigen Aufwand zu erfüllen schien. Ich
fertigte meinen Kindern die Kleider selbst an,
nach einfachstem Schnitt, lose und leicht, dauer-
haft und waschbar, ohne jeden unnötigen Putz
und doch nicht nüchtern. Stets fand sich eine
kleine lustige Beigabe, und wäre nur ein tech-
nisch notwendiger Stich besonders hervor-
gehoben worden. Hierdurch eiferte ich die
Kinder ganz von selbst an, auch für ihre Puppen
ähnliche Kleider zu verfertigen, denn der Schnitt
war so einfach und selbstverständlich, daß ihn
die Kinder durchschauen und ohne weitere An-
leitung selbst ausführen konnten. Ich hoffe, daß
sie dadurch rein technisch für später mehr ge-
lernt haben, als wenn sie ein Buch über die
naturgemäßen Grundlagen der Frauenkleidung
durchstudiert hätten. Das wichtigste dabei aber
ist, daß sie das Wesentliche vom Unwesent-
lichen trennen lernten und sich zunächst be-
mühten, ihre Puppen und Bären zu kleiden
und erst in zweiter Linie sie zu schmücken.
Interessant war mir auch zu beobachten, wie

sich der Farbensinn allmählich entwickelte.
Die Zweckmäßigkeit und innere Notwendigkeit
einer Form (z.B. eines Schnittes) sind leicht ein-
zusehen, viel schwieriger dagegen die Harmonie
von Farben. Wenn ich die Kinder Farben nach
eigenem Geschmack wählen ließ, so griffen sie
in der ersten Zeit nach dem Buntesten ohne
Rücksicht auf die Zusammenstellung, so wie es
heutenochdiemeisten Erwachsenen tun, oder sie
konnten sich überhauptnicht entschließen. Indem
ich ihnen dann stets diejenigen Farben zu-
sammenhielt, die ich für schön hielt, brachte
ich sie schließlich ohne weitere Belehrung da-
hin, daß sie mir später mit ziemlicher Sicher-
heit und mit Selbstbewußtsein Farben zeigten,
die ihnen harmonisch schienen, und ich darf
sagen, die Wahl wurde immer besser. Dabei
war es interessant, daß beide Kinder, ihrem
verschiedenen Naturell entsprechend, verschie-
dene Nuancen und Zusammenstellungen bevor-
zugten, die Jüngere stets mehr heitere, ausge-
sprochene Farben, während die Ältere Sinn

104
 
Annotationen