PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL-MÜNCHEN. HAUS SCHMIDT-GERSTUNG IN HOLZKIRCHEN.
NEUE WOHNHAUSBAUTEN VON EMANUEL v. SEIDL.
VON WILHELM MICHEL.
Anerkennung der Wandlungsfähigkeit, des Er-
findungsreichtums, der Phantasiefülle endigen,
die der Künstler immer wieder bewiesen hat.
Für jeden stark produktiven Künstler bildet ja
die Selbstnachahmung, die zu Manier und Er-
starrung führt, die größte Gefahr. Emanuel von
Seidl ist ihr stets entgangen. Das Geheimnis
der Meisterschaft: Vor jeder neuen Aufgabe
ein Neuer, fast ein Lernender sein — Seidl hat
es begriffen und darnach gehandelt. Es kam
ihm nicht darauf an, sein Subjekt gewaltsam
und eitel in den Vordergrund zu drängen. Er
war stets bereit, liebevoll auf das Wort zu
hören, das die landschaftliche Situation sprach,
auf den Rat, den die architektonische Umge-
bung erteilte. Ein Wohnbau, den er in Ober-
bayern zu errichten hat, wird zuverlässig ein
anderes Gesicht zeigen als einer im Rheinlande.
Selbst dem oberflächlichen Betrachter fallen an
Seidls Bauten Dinge auf, wie der große Reich-
tum an schönen und lebendigen Dachausbil-
dungen, an Plafondgestaltungen im Innenraum,
an fesselnden undparadoxenFarbenzusammen-
stellungen. Von irgend welcher phrasenhaften
Es ist schon geraume Zeit her, daß ich das
Schaffen Emanuel von Seidls verfolge,
und in vielen Fällen habe ich hier zur Abbildung
seiner Schöpfungen das erklärende Wort zu
führen gehabt. Ich sah den Geist und die Er-
findungsgabe des Künstlers vor eine große Reihe
von Aufgaben gestellt, Aufgaben, bei denen es
trotz alles Wechsels der Bedingungen letzten
Endes immer wieder darauf ankam, deutsche
Wohnräume für moderne Menschen fast der-
selben gesellschaftlichen Stufe zu schaffen. Das
Raumbedürfnis war in vielen Fällen das gleiche.
Fast immer galt es, unter Rücksichtnahme auf
einehäufig wiederkehrende landschaftlicheSitua-
tion (Anlehnung an Berg oder Wald, Orientie-
rung nach Ausblick und Himmelsrichtung), jene
nicht sehr wechselnde Zahl von Räumen, deren
eine verfeinerte Lebensweise bedarf, um eine
den Mittelpunkt bildende Halle zu gruppieren.
Ich will damit sagen, daß es in all diesen Auf-
gaben eine Reihe „konstanterFaktoren" gab, mit
denen man sich immer wieder abfinden mußte.
Dies alles wohl erwogen, kann eine Betrach-
tung des Seidischen Schaffens nur bei hoher
1913. IX. 3.
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NEUE WOHNHAUSBAUTEN VON EMANUEL v. SEIDL.
VON WILHELM MICHEL.
Anerkennung der Wandlungsfähigkeit, des Er-
findungsreichtums, der Phantasiefülle endigen,
die der Künstler immer wieder bewiesen hat.
Für jeden stark produktiven Künstler bildet ja
die Selbstnachahmung, die zu Manier und Er-
starrung führt, die größte Gefahr. Emanuel von
Seidl ist ihr stets entgangen. Das Geheimnis
der Meisterschaft: Vor jeder neuen Aufgabe
ein Neuer, fast ein Lernender sein — Seidl hat
es begriffen und darnach gehandelt. Es kam
ihm nicht darauf an, sein Subjekt gewaltsam
und eitel in den Vordergrund zu drängen. Er
war stets bereit, liebevoll auf das Wort zu
hören, das die landschaftliche Situation sprach,
auf den Rat, den die architektonische Umge-
bung erteilte. Ein Wohnbau, den er in Ober-
bayern zu errichten hat, wird zuverlässig ein
anderes Gesicht zeigen als einer im Rheinlande.
Selbst dem oberflächlichen Betrachter fallen an
Seidls Bauten Dinge auf, wie der große Reich-
tum an schönen und lebendigen Dachausbil-
dungen, an Plafondgestaltungen im Innenraum,
an fesselnden undparadoxenFarbenzusammen-
stellungen. Von irgend welcher phrasenhaften
Es ist schon geraume Zeit her, daß ich das
Schaffen Emanuel von Seidls verfolge,
und in vielen Fällen habe ich hier zur Abbildung
seiner Schöpfungen das erklärende Wort zu
führen gehabt. Ich sah den Geist und die Er-
findungsgabe des Künstlers vor eine große Reihe
von Aufgaben gestellt, Aufgaben, bei denen es
trotz alles Wechsels der Bedingungen letzten
Endes immer wieder darauf ankam, deutsche
Wohnräume für moderne Menschen fast der-
selben gesellschaftlichen Stufe zu schaffen. Das
Raumbedürfnis war in vielen Fällen das gleiche.
Fast immer galt es, unter Rücksichtnahme auf
einehäufig wiederkehrende landschaftlicheSitua-
tion (Anlehnung an Berg oder Wald, Orientie-
rung nach Ausblick und Himmelsrichtung), jene
nicht sehr wechselnde Zahl von Räumen, deren
eine verfeinerte Lebensweise bedarf, um eine
den Mittelpunkt bildende Halle zu gruppieren.
Ich will damit sagen, daß es in all diesen Auf-
gaben eine Reihe „konstanterFaktoren" gab, mit
denen man sich immer wieder abfinden mußte.
Dies alles wohl erwogen, kann eine Betrach-
tung des Seidischen Schaffens nur bei hoher
1913. IX. 3.
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