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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

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Mahlberg, Paul: Vom Plakat als Erzieher des Kunstsinns
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https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0206

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Vom Plakat als Erzieher des Kunstsinns.

PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL MÜNCHEN. KLEINES HAUS Dr. GEORG WOLF-STEIN IM ERZGEBIRGE.

sich damit nur allzuleicht seinen Pflichten gegen
die Allgemeinheit, wenn nicht die Geschichte
voraussehend genug gewesen wäre, ihre Erfül-
lung als eine ihm unbewußte Funktion seiner
propagandistischen Tätigkeit ans Geschäft zu
knüpfen. Mit dem Plakat (das ein neues, frei
funktionierendes Thema der Kunst ist und dazu
bestimmt scheint, eine heilige Sitte abzulösen),
kommt in die Reklame ein ästhetisches und
pädagogisches, nämlich kunsterziehlich wirken-
des Moment.

Man ist sich wohl klar darüber, daß das
Museum in Hinsicht auf die Erziehung des
Kunstsinns wenig nutzt. Die große Menge
der Besucher dringt nicht in die Tiefe, und die
Ästhetik ihres Sehens erfüllt sich an der Ober-
fläche, in der Freude über den richtig bestimm-
ten Namen, oder über die Entdeckung, daß
Rubens die Helene Fourment als Modell für
alles mögliche, Madonnen und Hetären be-
nutzt hat. Der Gang durchs Museum ist nicht
der sichere Weg zur Erziehung des Kunstsinns.

Wölfflin schreibt (Neue Rundschau, April 1909):
„Man kann den Weg über die Historie nehmen,
aber er ist gefährlich . . . Wie wenig bei dem
gewöhnlichen historischen Halbbetrieb an wirk-
lichem Verständnis gewonnen wird, sieht man
vielleicht nirgends deutlicher als an der Un-
sicherheit des Publikums der modernen Kunst
gegenüber."

Ebenso zwecklos wäre es, von dem Bestand
der modernen Galerien aus den Weg zur Er-
ziehung des Kunstsinns zu suchen. Dafür ist
die Moderne viel zu differenziert, zu konse-
quent auf ihre letzten Ausdrucksmöglichkeiten
hin gepreßt. Die Menge kann dem Künstler
nicht mehr folgen.

Also soll man von den realen Erscheinungen
des täglichen Lebens ausgehen, um seinen Kunst-
sinn zu erziehen? Die Fülle der Gesichte wird
selbst einem Menschen, der die Kultur des
ästhetischen Sehens besitzt, leicht zu viel. Wie-
viel mehr noch der bildungsbedürftigen großen
Masse von Laien. Wie bereits eingangs er-

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