Vom Plakat als Erzieher des Kunstsinns.
PROF. EMANUEL V. SEIDL • MÜNCHEN. KLEINES HAUS IN STEIN IM ERZGEBIRGE. EINGANG MIT GARDEROBE.
Jede Photographie lügt, und mag sie noch so
gut sein! Also das lebendige Kunstwerk selbst.
Dasjenige vergangener Zeiten würde eine for-
male Interpretation verlangen, denn es, und ganz
besonders das hier notwendige typische, weist
auf die epochalen Situationen rundum hinaus.
Es bedürfte also vorab eines Fachstudiums und
eines historischen Hinweises.
Nun haben wir aber ein lebendiges Bilder-
buch, mit Beispielen, die keines historischen
Hinweises bedürfen, denn sie sind aus dem
Geist unserer Zeit entstanden, ein Bilderbuch,
durch dessen Welt wir tagtäglich schreiten: die
Straße und ihre künstlerischen Plakate.
Das künstlerische Plakat, das als ein im vor-
aus eingestellter Faktor in der Entwickelung
der Kunst, was ihr Empirisches anbetrifft, er-
scheint, ist auch logisch aus ihrem ästhetischen
Wesen heraus entwickelt. Als es auftrat, und
man es entdeckte, war es noch malerisch, reali-
stisch, strebte es nach Bildwirkung. Es lebte
noch vom Geiste der freien Kunst, der damals
französisch war. Noch die ersten großen Pla-
katausstellungen in Dresden (1896), Kristiania
(1897) und Petersburg (1897) zeigen die Ab-
hängigkeit von den überhaupt ersten Plakat-
malern, den Franzosen. Cheret war der „König
der Affiche". Neben ihm kamen noch Steinlen,
Toulouse-Lautrec, Mucha in Betracht. Auf der
ebenerwähnten Ausstellung der russischen So-
ciete Imperiale d'Encouragement des Arts in
Petersburg waren sie und einige Landsleute
(laut Katalog) mit mehr als zweihundert Arbeiten
vertreten. Die meisten anderen zeigten den-
96
PROF. EMANUEL V. SEIDL • MÜNCHEN. KLEINES HAUS IN STEIN IM ERZGEBIRGE. EINGANG MIT GARDEROBE.
Jede Photographie lügt, und mag sie noch so
gut sein! Also das lebendige Kunstwerk selbst.
Dasjenige vergangener Zeiten würde eine for-
male Interpretation verlangen, denn es, und ganz
besonders das hier notwendige typische, weist
auf die epochalen Situationen rundum hinaus.
Es bedürfte also vorab eines Fachstudiums und
eines historischen Hinweises.
Nun haben wir aber ein lebendiges Bilder-
buch, mit Beispielen, die keines historischen
Hinweises bedürfen, denn sie sind aus dem
Geist unserer Zeit entstanden, ein Bilderbuch,
durch dessen Welt wir tagtäglich schreiten: die
Straße und ihre künstlerischen Plakate.
Das künstlerische Plakat, das als ein im vor-
aus eingestellter Faktor in der Entwickelung
der Kunst, was ihr Empirisches anbetrifft, er-
scheint, ist auch logisch aus ihrem ästhetischen
Wesen heraus entwickelt. Als es auftrat, und
man es entdeckte, war es noch malerisch, reali-
stisch, strebte es nach Bildwirkung. Es lebte
noch vom Geiste der freien Kunst, der damals
französisch war. Noch die ersten großen Pla-
katausstellungen in Dresden (1896), Kristiania
(1897) und Petersburg (1897) zeigen die Ab-
hängigkeit von den überhaupt ersten Plakat-
malern, den Franzosen. Cheret war der „König
der Affiche". Neben ihm kamen noch Steinlen,
Toulouse-Lautrec, Mucha in Betracht. Auf der
ebenerwähnten Ausstellung der russischen So-
ciete Imperiale d'Encouragement des Arts in
Petersburg waren sie und einige Landsleute
(laut Katalog) mit mehr als zweihundert Arbeiten
vertreten. Die meisten anderen zeigten den-
96