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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

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Widmer, Karl: Das Problem des modernen Kostüms in der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0221

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Das Problem des modernen Kostüms in der bildenden Kunst.

in der Erscheinung des modernen Menschen un-
künstlerisch ist. — Die moderne Kleidung ist
unplastisch im eigentlichen Sinne. Das gilt
vor allem von der heutigen Männerkleidung.
Es gilt aber auch von der modernen Frauen-
kleidung mit ihrer Tendenz, die Formen bald
ins Weibliche zu überstilisieren, bald dem Prin-
zip der Männerkleidung anzugleichen, gewisse
Linien des Körpers bald zu unterdrücken, bald
künstlich hervorzuheben.

So fehlt also der modernen Kleidung das
Hauptmoment des Plastischen: die Durchsich-
tigkeit für den darunter lebenden Organismus.
Sie gibt dem Bildhauer statt lebender Natur
toten Stoff. Hier liegt für ihn die eigentliche
Schwierigkeit des Problems. Denn in der Kör-
perlichkeit der plastischen Darstellung, der die
malerischen Mittel der Belebung fehlen, ist es
doppelt schwer, die Wiedergabe des Stofflichen
in den Grenzen des Künstlerischen zu halten.
Die Kunst des Bildhauers kann viel leichter im
Stein das pulsierende Leben des Fleisches
wecken, als aus der Arbeit des Schusters und
Schneiders künstlerische Funken herausschla-
gen. Das gilt zumal von der Sprache der großen
Kunst. Für sie liegt die Lösung des Problems,
das die moderne Kleidung dem Bildhauer auf-

gibt, nur in den stärksten Mitteln der künst-
lerischen Übersetzung. Darum haben die mo-
dernen Naturalisten der Bildhauerei wie Rodin
und Meunier das Kostüm stets in jener extra-
hierenden Sprache der skizzenmäßigen Anlage
behandelt, die den Impressionismus gleichsam
in die Plastik überträgt (Rodins Balzac). Die
koketten Reize zumal, welche die Mode der
Erscheinung der modernen Frau verleiht, lassen
sich überhaupt nur in der pikanten Sprache der
plastischen Kleinkunst fassen. Die Aufgaben
der Monumentalplastik aber weisen mit Not-
wendigkeit auf die Stilisierung: ins Dekora-
tive oder — im höchsten Sinne des Monumen-
talen — ins Architektonische. Darin haben die
Werke der archäischen Kunst, vor allem die
Ägypter den Modernen den Weg gewiesen.

Unter allen Umständen aber bleibt der Auf-
gabe des Bildhauers, wo ihn die Natur des Ge-
genstandes zwingt, am modernen Kostüm fest-
zuhalten, der Charakter des Gebundenen. Frei
ausleben kann sich seine Kunst nur vor der
Aufgabe, in der ihn die Natur selbst vor das
höchste Problem der Form gestellt hat — den
menschlichen Körper. Und hierin liegt auch der
unvergängliche Vorzug der antiken Tracht. So
wie sie sich im freien Prinzip ihrer Faltensprache

PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL-MÜNCHEN. HAUS PRYM IN STOLBERG. FENSTERNISCHE IN DER WOHNHALLE.

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