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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 32.1913

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Effenberger, Hans: Richard Teschners indisches Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.7014#0232

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Richard Teschners indisches Theater.

RICHARD TESCHNER-WIEN. PUPPEN THEATER.

SZENE AUS »NABI DZA« JAVAN. LEGENDE.

Priorität zu sichern und um gleich zu betonen,
daß Teschner mit seinen fortbildnerischen Ver-
suchen nicht einen Kompromiß beabsichtigte.

Im Wajang lebt die reife Kunst der alten
Hindus fort, die sich aus den fruchtbaren Ein-
flüssen griechischer und assyrischer Kultur zu
dieser selbständigen Eigenheit entwickelte.
Das, was andere Völker von ihren Göttern und
Helden erst nach Jahrhunderten zur Ahnen-
propaganda auf die Bühne retten, das lebt als
Schatten seit Jahrhunderten auf dem weißen
Tuch des Wajang. Und das, was wir durch
die Kunst der Dichter und Schauspieler immer
raffinierter sichtbar zu machen uns mühen,
spricht aus der seelischen Inkarnation der leder-
geschnittenen Wajang-Gesichter. Im Damar
Wulan-Roman lesen wir: „Es wird gesprochen
über Kyahi Pati Logenders jüngstes Kind.
Dies war eine Tochter, Andjasmara genannt,
schön von Gestalt. Wenn man ihr Äußeres ge-
nau beschreiben wollte, würde der Beschreiber
sicherlich müde werden und ihre Schönheit
würde noch nicht vollkommen geschildert sein.
Sie war lieblich, vornehm, süß, gesprächig, leb-
haft, so daß sie harmonisch erschien, nur ein
wenig mangelhaft war ihr Sprechen. Sie sah
aus, als ob sie — wäre sie ein Mann gewesen —
andere Männer anzugreifen, den Mut gehabt

hätte, aber sie verstand es, zu dienen. Glück-
lich würde derjenige sein, der sie zum Weibe
bekäme". Ich meine, auch der abendländische
Psycholog muß diese Andjasmara, „die aus-
sieht, als ob sie den Mut haben könnte ..."
aus den Silhouetten des Wajang herausfinden.

Als Teschner die javanischen Schattenhelden
zum erstenmal im Haag sah, überraschten sie
ihn in der Sehnsucht seiner künstlerischen
Puppenträume. Nicht das Exotische als An-
regung einer lahmen Phantasie fesselte ihn, ihn
ergriff die nicht zu überbietende, in so primi-
tives Material gebannte Innerlichkeit der Ge-
stalten, ihre wundervolle, fastplastisch wirkende
Ornamentik zog ihn an, die Beweglichkeit durch
Stäbchen von unten interessierte ihn als tech-
nisches Problem und die schöne, marionetten-
haft nie erreichte Linie der Gesten verführte
ihn. Unsre Zeit, die sich über das ewige
Homunkulus-Problem mit dem Automaten hin-
weghilft, sucht im modernen Puppentheater das
Ideal des Automatischen zu vermenschlichen.
Teschner will, im Gegensatz zu diesem Panop-
tikum-Standpunkt, ein neues künstlerisches
Erlebnis gestalten. Er hat die javanische Sil-
houette frei ins Plastische übersetzt und in eine
kleine Bühne gestellt, die mit allen Effekten
moderner Theaterregie versehen ist. Hier spielt

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