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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 42.1918

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Christophe, F.: Paul Scheurich als Graphiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7199#0028

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Paul Scheurich als Graphiker.

in der Erinnerung an
glanzvolle Zeiten un-
bekümmerter Lebens-
leichtigkeit und üppi-
ger, farbenfroher und

formenberauschter
Kulturentfaltung nur
eine hocherwünschte
Genußsteigerung des
graphischen, kolori-
stischen und plasti-
schen Reizes der Ar-
beiten erblicken. —
Es besteht eine selt-
same Wechselbezieh-
ung zwischen der Ver-
innerlichung im Wer-
ke und den in lebens-
unmittelbarer Außen-
welt fußenden Ge-
fühlsfäden, die ich mir
wie Wurzeln denke,
die Kraft aus allen

Lebensäußerungen
der Umwelt wie aus
dem sinnreichen Zu-
sammenwirken aller
Naturmächte ziehen.
— Soviel Stilkenner
wird ja jeder Kunst-
freund sein, dieFreude
an der zeichnerisch
überaus interessanten
Umsetzung einer etwa
auf mythologische At-
tribute anspielenden

Einzelheit in völlig moderne Ausdrucksformen
mitempfinden zu können. — Mit welchem Ver-
gnügen kann man die (von gewaltsamer Son-
derbarkeitssucht so völlig unberührte) wunder-
voll eigenartige Übersetzung des Gobelin-Stils
in eine unser Empfinden so zärtlich umschmei-
chelnde Formenführung auf sich wirken lassen,
wie sie das „Dame"-Titelblatt mit der füll-
horntragenden , knitterbandumwehten Früh-
lingsgöttin bot, wobei keine dem Graphischen
abträgliche Buntheit aufgeboten war.

Es ist kennzeichnend für die Entstehungs-
weise aus dem Gefühl geschaffener Arbeiten,
wie Scheurich mit dem Blei wünschelrutenartig
suchend auf dem Papier tastend formt und da-
bei doch eigentlich in seinem Innern nach der
seinem Empfinden gemäßen Gestaltung herum-
fühlt, bis die aufgefundenen Formen, schließ-
lich befriedigend, fester und unverrückbar wer-
den, wobei das Bestreben, sich nicht zu früh
festzulegen, sondern sich tunlichst lange die

SCHEURICH. ZEICHNUNG ZU APULEJUS »DER GOLDENE ESELc

Möglichkeit einer viel-
leicht noch glückliche-
ren Formenwahl offen
zu lassen, deutlich er-
kennbar ist. Das un-
vollendete Blatt „Dia-
na" bietet bemerkens-
werten Einblick. —
Wer die Anlage hat,
mit solcher Leichtig-
keit dieFormen gleich-
sam aus dem Papier
herauszufühlen und
festzubannen, dem ist
besonders hoch anzu-
rechnen, wenn er die
künstlerische Ehrlich-
keit besitzt, nicht ins
„Schwindeln" zu ver-
fallen, sondern die er-
forderliche stärkste
künstlerischeKraf t da-
für einsetzt, zu einer
geschlossenen End-
wirkung und einem, in
allen Einzelheiten zu
einander stimmenden
Zusammenklange zu
gelangen. — Wer sein
künstlerisches Gewis-
sen mit der manchmal
vielleicht unbewußten
Selbsttäuschung zu
beschwichtigen sucht,
i in dem gekritzelten
•Ungefähr einer Be-
wegungsskizze hätte er das Wesentliche und
Wertvolle einer künstlerischen Leistung festge-
halten, der dürfte sich bei gelegentlich erforder-
licher Durchführung überrascht und gedrückt zu
der demüligendenEinsicht bekennen müssen,daß
jetzt die eigentliche künstlerische Schwierigkeit
erst anhebt und daß es sich dann erst zeigt, wer
die stärkere künstlerische Gestaltungskraft hat.

Mit dem bloßen Naturnachkritzeln fängt
man durchaus nicht den flüchtigen seelischen
Ausdruck; nicht optisch registrierend, sondern
mit sinnlicher Erschütterung gefühlsmäßig wahr-
nehmend müssen wir aufnehmen, wenn wir uns
diese allerzartesten Unbegreiflichkeiten, Ver-
körperungen aller Gemütsregungen und alle
Abstufungen menschlicher Empfindungen zur
gestaltbaren Wiederformung zu eigen machen
wollen. Und diese Fähigkeit ist wohl das aus-
schlaggebende an Scheurichs Künstlerschaft
und die Bürgschaft für eine verheißungsvolle
Entwicklungsfähigkeit, f.christophe-wilmersdorf.
 
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