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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 42.1918

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Hildebrandt, Hans: Europa und die ostasiatische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7199#0065

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Europa und die Ostasiatische Kunst.

sames. Was zunächst
sosehr an den Schöp-
fungen des Ostens
entzückte, war die
Schärfe der Naturbe-
obachtung, mit der die
europäische denWett-
bewerb nicht aufneh-
men zu können schien.
Allein sie ist nicht das
Wichtigste. Die Si-
cherheit der Stilgeb-
ung, der organische
Aufbau der Formen,
die Vollendung des
Kunstwerks zu einer
kleinen, in sich ge-
schlossenen Welt sind
es, die der ostasiati-
schen Kunst vor allem
inre starke Wirkung
verbürgen. Sie lernte
rnan gleichsam nur un-
ter der Hand kennen.
Nachdem man sie aber
einmal erfaßt hatte,
gab man sich ganz
dem neuentdeckten
Zauber hin. Man stu-
dierte die Linienfüh-
rung, spürte ihrem
Rhythmus nach, ach-
tete auf die Verteilung
der Massen, auf das
Spiel der Farben, und
nicht zuletzt auf die
Art , wie das Geistige,
das der Künstler aus-
drücken wollte, zu
völligem Aufgehen in
der Form gezwungen
ward. — Und wieder-
um machte man eine
schwerwiegende Ent-
deckung. Je tiefer
m an sich in das Kunst-
schaffen des fernen
Ostens versenkte, de-
sto mehr verschob
sich das ursprüngliche

Werturteil. Die Maler und Kunstliebhaber
Europas hatten sich zuerst auf die japanischen
Holzschnitte und kunstgewerblichen Erzeug-
nisse geworfen. Bald aber merkten sie stau-
nend, daß die bewunderten Kunstfertigkeiten
aus dem Lande des Mikado verblaßten vor
den Werken, die China, das weite Reich, das

ALT-INDISCHE BRONZE-FIGUR. BUDDHA IN LEHRENDER HAL-
TUNG. VERGOLDET. AUS EINEM TEMPEL IN NORD-SIAM. 14.
BIS 15. JAHRH. KUNSTHANDLUNG HUGO MEYL

sich freiwillig vor aller
Welt absperrte, her-
vorgebrachthatte. Die
chinesische Kunst ist
Kunst aus erst erl I and.
Jene des Inselreichs
ist — mit Ausnahme
der frühen — abgelei-
tete und dankt ihr
Bestes dem großen
Nachbar auf dem Fest-
land, derfreilich längst
sich an dem ererbten
Besitze genügen ließ,
instinktiv vor der Be-
rührung mit der euro-
päischen Kultur zu-
rückschreckte und
mühsam aufgespürt
werden mußte, indes-
sen Japan, die kom-
mende Weltmacht, alle
Tore den technischen
und materiellen Fort-
schritten des Westens
öffnete, um mit ihrer
Hilfe zu herrschen.
Wir haben hier eine
ganz ähnliche Erschei-
nung vor uns wie bei
der Neuentdeckung
und Wiederbelebung
der antiken Kunstkul-
tur in den Zeitaltern
der Renaissance und
desKlassizismus. Wäh-
rend damals aber fast
vier Jahrhunderte ver-
gingen , bis man die
originale Kunst der
Griechen scheiden
lernte von der gröbe-
ren, abhängigen Kunst
der Römer, vollzog
sich hier der Um-
schwung binnen weni-
ger Jahrzehnte. Zu-
gleich machte man die
Erfahrung, daß vor
allem in China, aber
auch in Indien, Siam, weniger wohl in Japan,
eine große, monumentale Kunst geherrscht hatte,
und wandte sich immer mehr ab von der ein-
seitigen Bewunderung lediglich der kunstge-
werblichen Leistungen, ohne diese freilich da-
rum geringer zu schätzen. Hatte man noch vor
wenigen Jahrzehnten die Kunsterzeugnisse des

MÜNCHEN.

»I.

April

1»U. t,
 
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