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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 42.1918

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Lux, Joseph August: In Memoriam Otto Wagner - Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7199#0216

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In memoriam Otto Wagner Wien.

Seine Skizzenbücher aus dieser Zeit, die ich
sehen durfte, zeigen unverkennbare Spuren.
Als der Jüngling Mann wurde, herrschte der
Geist Gottfried Sempers. Aber innerhalb dieser
Richtung zeigte der junge Architekt bereits
schöpferische Originalität. Seine Länderbank
in Wien, die Häuser in der Stadiongasse sind
etwas, das eigentlich schon weit über den bloßen
Historizismus hinausgewachsen war. Wagner
war es, der den rückschauenden Propheten
Semper stürzte und zum Künder und Bringer
der neuen Baulehre wurde, die in die Zukunft
schaute. Der Sachstil ist seine Erfindung. Sein
Buch über „Moderne Baukunst" enthält die
ehernen Gesetztafeln, die er von dem Berg
Sinai seiner inneren Welt holte und die einstens
als das goldene Buch der Architektur aller kom-
menden Zeiten erkannt sein werden. Praktisch
zeigte sich seine Neuerung in dem Bau der
Wiener Stadtbahn und in dem Nadelwehr in
Nußdorf mit den bronzenen Löwen, darin er
sich selbst ein Denkmal von unvergänglicher
Schönheit gesetzt hat. Die moderne Bewegung
kündigte sich in den Sezessionen der Maler und
Kunstgewerbler an. Wagner ging entschlossen
zu den Jungen über. Damit war der Bruch mit
den Zeitgenossen geschehen. Was ihm überall
später als Verdienst angerechnet worden wäre,
in Wien, wo man in diesen Dingen von einer
bornierten Rückständigkeit ist, war es ihm bis
zum Tode nicht verziehen. Der Jugendstil
färbte zwar eine Zeitlang auf ihn ab, aber nur
als äußerliche dekorative Zutat — man denke
an seine Häuser in der Wienzeile — seine ar-
chitektonische Struktur konnte davon nicht be-
rührt werden; sie setzte sich vielmehr immer
radikaler durch zu Gunsten äußerster Verein-
fachung, die nur mehr durch Zweck, Konstruk-
tion, Material und Proportion wirken sollte.
Charakteristik war sein oberstes Stilgesetz.
Ausgang für das Schaffen des Architekten war
nach seiner Überzeugung das moderne Leben.
Die Kirche am Steinhof, die Postsparkasse wa-
ren Beispiele solcher Klärungen. Die Höhe
hatte er in dieser Entwicklung freilich erst in
den Alterswerken gewonnen, in seinem eigenen
Haus in der Döblergasse, in seiner neuen Villa
in Hütteldorf, in seinem Lupusheim und nament-
lich in jenen Monumentalwerken, die ihm vor-
enthalten wurden und um die der häßlichste
Kunststreit entfesselt wurde, den man selbst
in Wien je erlebte, ich meine das Stadtmuseum,

das zuerst am Karlsplatz und dann auf der
Schmelz gedacht war, ferner den Neubau an
Stelle der Gartenbaugesellschaft und einige an-
dere Projekte, deren Schicksal man bequem in
meiner 1914 im Münchener Delphin-Verlag er-
schienenen ausführlichen Monographie über
Otto Wagner nachschlagen kann.

Schmerzlich ist der Gedanke, was aus Wien
für eine kaiserliche Kunststadt hätte werden
müssen, wenn man einem Genius wie Otto
Wagner, dem größten nach Fischer von Erlach,
freie Hand gegeben hätte. Schmerzlich zu sehen,
was an Stelle dessen geworden ist. Und zu
denken, was Wagner hätte leisten können,
wenn er etwa in Berlin gelebt und nicht die
eigensinnige Heimatliebe gehabt hätte, dieser
treulosen Vaterstadt die Treue zu halten.

Ein Glück für ihn, daß er die Demütigungen
und Enttäuschungen nie schwer empfand oder
doch leicht zu nehmen schien, und darin eher
noch einen Ansporn zu noch größeren Taten
und Ideen fand, als daß er sich hätte entmutigen
lassen. Auch insofern besaß er Größe, die vor-
bildlich wirkte und zur Bewunderung hinriß.
Als echter Künstler glaubte er an sich und seine
überzeitliche Mission; als echter Künstler war
er gläubig und naiv, ein unüberwindlicher, un-
erschütterlicher, unverletzbarer Kämpfer, der
aus jeder Niederlage gestärkt hervorging, ge-
stärkt an seiner eigenen Arbeitsfreude und
Ideenkraft. Er war mit 77 Jahren noch ein opti-
mistischer Jüngling und hatte das Zeug hundert
Jahre alt zu werden und mit neunzig alle Wider-
stände gebrochen zu haben, um in den letzten
zehn Jahren alles einzuholen, was durch fremde
Schuld versäumt war. Aber das unbekannte

Schicksal--! Seine geliebte Frau starb vor

kaum zwei Jahren, er schien den Schlag mit
seiner unzerstörbaren Robustheit überwunden
zu haben, den Kopf voll von großen Projekten.

Doch im April dieses Jahres sagte er plötz-
lich: „Es war alles umsonst". Zum erstenmal,
daß er den Einsatz seines Lebens verloren gab.
Und legte sich hin um zu sterben. Und als der
Riesenbaum gefällt war, erkannte die Umwelt,
oder erkennt es allmählich, was man an ihm
verloren hat. Nur war es wieder zu spät, wie
so oft. Was Wagner für die ganze Entwicklung
der Baukunst war, ist noch nicht ganz offenbar.
Aber die Zeit ist nicht fern, und man wird
wissen, daß er einer der Größten war, dessen
Licht über den ganzen Erdball dringt. —
 
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