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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 52.1923

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Kömstedt, Rudolf: Ausstellung der "Münchener Neuen Secession" Sommer 1923
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9145#0326

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Ausstellung der »Münchener Neuen Secessiom Sommer 1923.

ADOLF SCHXNNERER— MÜNCHEN.

»ANSTEIGENDE STRASSEc

Karl Caspar wird immer der Bewunderung
der Verständigen sicher sein. Seine Art, im
Stillen bedeutend zu wirken, kräftige, mit her-
vorragendem rhythmischem Empfinden verteilte
Farben in den Dienst einer schlichten und we-
sentlich tiefen Bildidee zu stellen, hat das erste
Kennzeichen der wirklich schöpferischen Lei-
stung; die selbstverständliche Einfachheit des
Lebendigen. Seine Szenen aus der Bibel wer-
den nicht nur mit sicherstem artistischen Ge-
schmack und absolutem technischen Können
vorgetragen, sondern auch mit jener Wärme
menschlicher Empfindung, die gleichbedeutend
mit edelster Reife ist. Die Phantasie der Völker
hat Jahrhunderte lang die biblischen Geschich-
ten mit Liebe umfaßt. So sind sie niemals alt
geworden. Die moderne Zeit mit dem Reichtum
ihrer seelischen Möglichkeiten vermag sie, wenn
schon auf ihre Art, so doch nicht minder wahr
und ehrlich zu erleben, als längstentschwundene
Epochen. Voraussetzung ist nur der Wille und
die Hingabe, bedingt durch die innere Über-
legenheit über die dreiste Kritik jener, die alle
Erlebnisse ablehnen, deren Erfüllung sie nicht

in ihrem dürftigen Inneren finden. Ihnen gegen-
über ist eine gesunde geistige Aristokratie not-
wendig und auch möglich. — Christus unter dem
Hosiannahruf des Volkes in die Stadt seines
Leidens einziehend. Die Gestalt, in dunkel-
blauem, von rotbraunen Lichtern umflossenen
Gewand steht ernst und überragend vor dem
Gleichmaß einer roten Wand. Die Stadt erhebt
sich als einer jener Gründe, die bei Caspar
immer auf eine so bewundernswerte Art nur in
engster Beziehung zur Stimmung des Ganzen
existenzfähig sind. Die Bewegung des Zuges
gedämpft durch den Gegenstrom des bunten
Volkes — so entsteht die Würde und Gefaßt-
heit, von der die Idee des Bildes lebt: der
Christus, der jenseits des Jubels lauter Be-
grüßung das „Kreuzige ihn" hört, der Christus,
dem auf dem glänzenden Gipfel seines irdischen
Daseins nichts geblieben ist als die wissende
Gebärde des stillen Segnens.

Höchste Wirksamkeit der Farbe und Form
konzentriert sich in dieser Gestalt, die, je öfter
gesehen, immer sprechender wird — für den
nämlich, der Ohren hat, zu hören.
 
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