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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Hofmann, Ludwig von: Die Kunst und die wirtschaftliche Not
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0316

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Die Kunst und die wirtschaftliche Not.

wirtschaftslehre treten müßte. Ich möchte be-
zweifeln, daß diese zugespitzt geistreiche Wen-
dung wörtlich von einem so tiefen und genialen
Kopf wie Spengler herrührt. Aber dem Sinne
nach enthält sie wohl den Kern einer angeb-
lich wissenschaftlichen Erkenntnis, die die Kunst
als erledigt ansieht und sie mit Haut und Haaren
dem Idol des Nutzens opfern möchte.

Es mag ja wohl sein, daß der Lyrik viele
Kräfte entzogen werden, je mehr Techniker es
gibt, der Malerei viele Maler, wenn die Schiff-
fahrt sie anfordert, und ebenso wird dann die
Musik verwaist sein, wenn es sich herausstellt,
daß so viele Volkswirtschaftslehrer gebraucht
werden, als es jetzt Musiker gibt.

Es ist aber damit nicht gesagt, daß die be-
treffenden Künste ersetzt werden können. Die
von ihnen bisher den Menschen gespendeten
Wohltaten entsprechen einem Bedürfnis, das
sich mit den Wohltaten der Ersatztätigkeiten
nicht so leicht wird abspeisen lassen. Ich würde
mich bei dieser sonderbaren Konstruktion gar
nicht weiter aufhalten, wenn nicht zu fürchten
wäre, daß sie der Sparsamkeit auf dem Gebiete
der öffentlichen Kunstpflege eine theoretische
Stütze bietet. — Die Kunst selbst wird durch
sie nicht berührt. — Denn was diese Auffassung
durchaus verkennt, oder außer Acht läßt, ist
nichts weniger wie Ursprung und Wesen der
Kunst als einer psychologischen Grundtatsache
des Lebens, die aus elementaren Anlagen der
menschlichen Natur hervorgegangen ist und
immer neu hervorgehen wird.

Der Kunsttrieb, d. h. der Trieb, das in der
Seele sich spiegelnde Bild von der Welt der
Erscheinungen sichtbar zu machen, wie er sich
bei Kindern schon früh und spontan äußert,
dieser Drang, Dinge zu schaffen, die von jedem
Zweck befreit sind, der Wunsch, dem Geschau-
ten und Erlebten eine Form zu geben, die der
Willkür des natürlichen Geschehens und seinen
Zufälligkeiten enthoben ist und durch ihre ei-
gene Gesetzmäßigkeit jene geheimnisvolle be-
glückende Wirkung ausübt, die wir bei echter
Kunst wahrnehmen — ist es im Ernst denkbar,
daß dieser Drang plötzlich aufhören soll oder

abgestellt und ersetzt werden könnte durch
Dinge, die auf einem ganz anderen Boden stehen,
ganz direkt auf Zwecke und auf praktischen
Nutzen ausgehen, die zwar gewaltige Errungen-
schaften rein zivilisatorischer Art mit sich brin-
gen, manchen Zweigen der Wissenschaft un-
schätzbare Dienste leisten, aber die Kultur
des Geistes und die Erleuchtung der Seele
nicht fördern können 1

Es liegt nahe, hierbei auch die berühmte
Schönheit von Gebrauchsgegenständen zu er-
wähnen, die ganz auf der reinen Zweckmäßig-
keit beruht, und die gar nicht bestritten werden
soll, die aber ihrem Wesen nach weitab liegt
von der Wirkung irgend eines Kunstwerkes,
dessen vollendete Form uns zugleich in Be-
ziehung setzt zu Vorgängen in der Seele seines
Schöpfers. Bei der Lokomotive und dem elek-
trischen Beleuchtungskörper, bei dem Möbel
und dem Gefäß wird eine dem Gemütsleben
des Herstellers entstammende Mitteilung nicht
erwartet und würde nur peinlich berühren.
Jedes Stilleben aber, das nicht von einem Hand-
werker oder Virtuosen, sondern von einem
echten Künstler herrührt, wird uns dessen see-
lisches Verhalten, seine liebevolle Versenkung
in das Objekt, seine Selbstvergessenheit offen-
baren und auf uns diese seelische Verfassung
übertragen. Der Künstler, der, gepackt von
der eigentümlichen Schönheit einer Lokomo-
tive, von ihrem Wesen, sie malt, wird der
Schöpfer der Lokomotive in einem neuen Sinn,
gewissermaßen auf einer höheren Ebene. Über-
lassen wir uns diesem Gedanken in aller Ruhe,
so kommen wir ganz von selbst zu dem Schluß,
daß wir die sichtbare Welt zu unserem inneren,
d. h. unzerstörbaren und unverlierbaren Besitz
nur soweit machen können, als wir sie künst-
lerisch sehen, mit anderen Worten, daß wir sie
von jeher und immer von neuem als ein Ge-
schenk aus der Hand der Kunst empfangen! —
Glauben Sie nicht, daß ich damit etwas beson-
ders Überschwängliches oder Überspanntes aus-
spreche. Ich konstatiere nur ein tatsächliches
Charaktermerkmal der Wirkung, die von der
Kunst ausgeht und nur von ihr ausgehen kann.

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