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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Hofmann, Ludwig von: Die Kunst und die wirtschaftliche Not
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0318

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Die Kunst und die wirtschaftliche Not.

was wir von der Schwelgerei im Häßlichen, von
maßlosen Verzerrungen zu erdulden haben,
darf uns nicht irre machen. Auch diese Kund-
gebungen, deren Ursachen in den Zerrüttungen
und den Qualen einer tief aufgewühlten Zeit
zu finden sind, sind alles andere eher als ein
Zeichen von Schwäche. Vergreift man sich hier
in den Mitteln, die zuweilen in ihrer Aufdring-
lichkeit bedenklich ausarten, und verquickt die
Kunst mit Zwecken, die ihrem Wesen fremd
sind, so zeigt sich doch auch an diesen Fällen,
ich möchte sagen mit blutigem Ernst, daß die
Kunst etwas ganz anderes ist als ein müßiges
Spiel, daß sie vielmehr ein Instrument sein
kann zu Auseinandersetzungen von eindring-
lichster Sprache.

Ich will nicht leugnen, daß wir Schlimmes
durchgemacht haben. Zuchtlosigkeit und Ver-
wilderung drohten zuweilen alles über den
Haufen zu werfen. — So schienen z. B. kritische
Tage erster Ordnung für die Kunst gekommen,
als die Bewegung, die sich selbst mit „Dada"
bezeichnete, versuchte, sich Geltung zu ver-
schaffen, indem neue Ausdrucksmittel in den
Abfällen von Kehrichthaufen gefunden wurden
um daraus „Konstruktionen für edle Frauen"
u. ä. herzustellen. Ich will gestehen, daß es da-
mals schwer war, nicht an Dekadenz zu glauben.

Aber inzwischen ist so viel Sammlung und
Besinnung eingetreten, daß wir auf diese Extra-
vaganzen als Übergangserscheinungen zurück-
blicken können.

Eine Kunst, die die regenerierende Kraft be-
sitzt, so schwere Krankheitssymptome zu über-
winden, die kann mit gutem Recht als ein lebens-
fähiger Organismus angesprochen werden!

Einen Beweis von Erschöpfung und wirk-
licher Kunstmüdigkeit könnte ich mir vorstel-
len. Das wäre, wenn man sich begnügt hätte,
auf hergebrachte Weise ruhig weiter zu arbei-
ten, in der Konvention zu beharren. Darin

hätte sich die Unfähigkeit zu neuen Anstreng-
ungen erwiesen. Das hätte allerdings den Ver-
fall bedeutet, und dann wäre die Forderung
am Platze gewesen, aufzuhören. Denn nichts
ist tötlicher für die Kunst und eigentlich un-
möglicher für den Künstler, als bei dem einmal
Erreichten stehen zu bleiben.

Von einer solchen Stagnation ist in der Kunst
unserer Tage nichts zu bemerken. Im Gegen-
teil, auch der Widerstrebende wird zugeben,
daß es an frischem,impulsivem, fast unbändigem
Leben nicht fehlt. Ein Gang durch unsere Aus-
stellung genügte, um das zu demonstrieren.

Im Vertrauen auf die kommenden besseren
Zeiten wollen wir versuchen, nach Kräften das
Niveau zu halten und zu heben — es sind genug
Fähigkeiten und genug guter Wille vorhanden
— wollen versuchen, den Boden für geniale
Betätigung zu bereiten und, so weit es an uns
liegt, den Staat vor der Kunstlosigkeit zu be-
wahren. Ein Volk, das Kunst im weitesten
Sinne nicht produziert, das weder Dichtung,
noch Musik, noch bildende Kunst aus eigner
Kraft hervorbringt, ist wie tot. — Es scheidet
aus dem Lichtkreis aus und muß sich damit
begnügen, im Stumpfsinn rein materieller In-
teressen zu vegetieren.

Wir wollen uns nicht überreden lassen, daß
Deutschland für einen solchen Zustand schon
reif sei oder ihn als ein Glück empfinden würde.

So viel haben wir gesehen, daß die Kunst ihrer
Idee nach unvergänglich ist, aber in der Wirk-
lichkeit kann sie nicht ohne Künstler leben.

Erschwert man diesen das Dasein noch einige
Zeit so, wie es jetzt geschieht, dann ist auch
die Kunst ernstlich gefährdet.

Unsere Bitte ist dringend: Helfen Sie den
Künstlern, um der Kunst zu helfen — helfen
Sie der Kunst, wenn Ihnen daran liegt, das
höhere Wohl des Staates und der Gesamtheit
zu fördern................l. v. h.
 
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