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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Michel, Wilhelm: Wiederkehr des Ideals, [1]: auf dem Wege zu einer neuen Ästhetik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0375

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ENTWURF: KAKI. BERTSCH.

ZUM SPEISEZIMMER S. 849.

WIEDERKEHR DES IDEALS.

AUF DKM WEGE ZU EINER NEUEN ÄSTHETIK ?

Die vornehmsten Ideale eines geistigen Lebens
sind das Wahre, das Gute und das Schöne.
Sie sind die „Werte", ohne die weder Kunst
noch geistiges Leben denkbar sind. Aber wie
und wonach bestimmen sich diese Werte?
Welches sind ihre Merkmale?

Auf diese Fragen haben wir heute keine klare,
positive Antwort bereit. Denn das Merkmal
— man könnte beinahe sagen: die Krankheit —
unsrerZeit ist jener Relativismus, der langsam,
aber sicher allen Werten die absolute Gültig-
keit und die objektive Bestimmbarkeit entzogen
hat. Auf fast allen Gebieten der Geisteswissen-
schaften und selbst in der exakten Forschung
hat dieser Relativismus unser Wertwissen ins
Schwanken gebracht. Unsre geistigen Werte

sind nicht mehr absolut, d. h. unabhängig, ob-
jektiv und für sich bestehend, sondern sie sind
relativ, d. h. abhängig, subjektiv, bezogen auf
eine ganze Reihe fremder, wechselnder Fak-
toren. Das ganze 19. Jahrhundert hat unbe-
wußt auf diesen Relativismus hingearbeitet.
Es konnte nicht anders. Es mußte, wenn es
sein geistiges Schicksal erfüllen sollte, aus-
schließlich in der Richtung einer Anzweiflung,
einer Entthronung des Ideals vorwärtsgehen.
Der auffallende Erfolg, den Männer wie Spengler
und Keyserliog gefunden haben, beruht vor-
nehmlich darauf, daß sie diese relativistische
Richtung des Zeitgeistes nachdrücklich ausge-
sprochen und ihr die Würde einer letzten, alles
überschauenden Erkenntnis gegeben haben.

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VII. September 1924. 1
 
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