Andreas Schlüter.
Geb. in Hamburg 1664; geft. in Petersburg 1714.
Was war aus der glänzenden Blüthe der deutfchen Renaissance-Architektur
geworden in Folge des dreifsigjährigen verderbenden Religionskrieges? Nur lang-
fam und allmälig erholte hch das Land, welches zwei Drittel feiner Einwohner
verloren, welches mit Ruinen und Brandftätten überdeckt war, von der namen-
lofenNoth; noch heut find bekanntlich die Schäden jener wilden Kriegszeit nicht
verwunden. Ein neues Gefchlecht war entbanden, in allen geibigen Beziehungen
der Zufammenhang mit der früheren Entwickelung mehr oder weniger gelockert;
vor Allem war die frühere Kunbentwickelung fo gut wie ganz abgebrochen. Auf
die Entfeffelung aller Leidenfchaften in der erben Hälfte des 17. Jahrhunderts trat
in natürlicher Reaction dagegen nach wiedergekehrtem Frieden ein Einzwängen
des Individuums in die fedgefchloffenen Schranken eines bis ins Kleinde ausge-
bildeten Etiquette- und Formelwefens, und zwar nicht allein auf dem Gebiet des
gefelligen Verkehrs, fondern auch fab in allen Aeufserungen des menfchlichen
Geibeslebens. Man braucht nur irgend ein Buch aus jener Zeit in die Hand zu
nehmen, um ein Aehnliches in dem wunderlich gefchraubten und aufgebaufchten
Stil deffelben zu empbnden. So brebte man auch in Kunb und Wiffenfchaft
nach der Einordnung des einzelnen Talentes in bebimmte Schranken. Damals
entband jenes deutfche Profefforenthum, welches in feiner pedantifchen Engherzig-
keit die höheren Geibesbebrebungen des Volkes zunftmäfsig zu monopolihren
bebrebt war, Tendenzen, die noch heut nicht immer ganz überwunden bnd. In
diefer Zeit begann auch auf dem Gebiete der Baukunb die Kathederweisheit mit
ihren Lehrbüchern canonifche Bedeutung zu gewinnen und in Folge davon die
freie Erhndung der älteren Zeit mehr und mehr in ein blofses Zufammenbellen
bebimmter als correct geltender Formenelemente umzufchlagen. In üppiger Fülle
fchoffen die Kunblehrbücher auf, in denen die n Säulenordnungen t< und ihre
Anwendung im letzten Grunde das bets wiederkehrende Thema bildeten. Wie
künblerifch frei und felbbändig hatte zuerb L. B. Alberti diefen Gegenband be-
handelt! Vitruv's Buch war ihm ein nützlicher Berather gewefen, nicht mehr.
Allmälig aber hatte bch in den Schriften der Späteren, namentlich der Hoch-
renaiffancemeiber Palladio, Scamozzi, Vignola, Serlio, Rusconi auf der von dem
alten Römer gegebenen Gründlage, dehen Worte nun wie ein Evangelium galten,
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Geb. in Hamburg 1664; geft. in Petersburg 1714.
Was war aus der glänzenden Blüthe der deutfchen Renaissance-Architektur
geworden in Folge des dreifsigjährigen verderbenden Religionskrieges? Nur lang-
fam und allmälig erholte hch das Land, welches zwei Drittel feiner Einwohner
verloren, welches mit Ruinen und Brandftätten überdeckt war, von der namen-
lofenNoth; noch heut find bekanntlich die Schäden jener wilden Kriegszeit nicht
verwunden. Ein neues Gefchlecht war entbanden, in allen geibigen Beziehungen
der Zufammenhang mit der früheren Entwickelung mehr oder weniger gelockert;
vor Allem war die frühere Kunbentwickelung fo gut wie ganz abgebrochen. Auf
die Entfeffelung aller Leidenfchaften in der erben Hälfte des 17. Jahrhunderts trat
in natürlicher Reaction dagegen nach wiedergekehrtem Frieden ein Einzwängen
des Individuums in die fedgefchloffenen Schranken eines bis ins Kleinde ausge-
bildeten Etiquette- und Formelwefens, und zwar nicht allein auf dem Gebiet des
gefelligen Verkehrs, fondern auch fab in allen Aeufserungen des menfchlichen
Geibeslebens. Man braucht nur irgend ein Buch aus jener Zeit in die Hand zu
nehmen, um ein Aehnliches in dem wunderlich gefchraubten und aufgebaufchten
Stil deffelben zu empbnden. So brebte man auch in Kunb und Wiffenfchaft
nach der Einordnung des einzelnen Talentes in bebimmte Schranken. Damals
entband jenes deutfche Profefforenthum, welches in feiner pedantifchen Engherzig-
keit die höheren Geibesbebrebungen des Volkes zunftmäfsig zu monopolihren
bebrebt war, Tendenzen, die noch heut nicht immer ganz überwunden bnd. In
diefer Zeit begann auch auf dem Gebiete der Baukunb die Kathederweisheit mit
ihren Lehrbüchern canonifche Bedeutung zu gewinnen und in Folge davon die
freie Erhndung der älteren Zeit mehr und mehr in ein blofses Zufammenbellen
bebimmter als correct geltender Formenelemente umzufchlagen. In üppiger Fülle
fchoffen die Kunblehrbücher auf, in denen die n Säulenordnungen t< und ihre
Anwendung im letzten Grunde das bets wiederkehrende Thema bildeten. Wie
künblerifch frei und felbbändig hatte zuerb L. B. Alberti diefen Gegenband be-
handelt! Vitruv's Buch war ihm ein nützlicher Berather gewefen, nicht mehr.
Allmälig aber hatte bch in den Schriften der Späteren, namentlich der Hoch-
renaiffancemeiber Palladio, Scamozzi, Vignola, Serlio, Rusconi auf der von dem
alten Römer gegebenen Gründlage, dehen Worte nun wie ein Evangelium galten,
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