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ANTON RAPHAEL MENGS.
wie das ganze Rococo von vornherein zu nur kurzem Leben beftimmt. Die
Lebrun'fche Schule überdauerte he und überflügelte he namentlich an Aus-
breitung; denn die Plafonds und Saalwände bedurften nach wie vor jenes
grofsen lärmenden Pompes, wie ihn diekosmopolitifche Decorationskunft, für
welche noch immer Italien tonangebend war, welche aber der Hof Ludwig's XIV.
befonders gehegt hatte, feit einem Jahrhundert entwickelte. In der That ifl der
Unterfchied in der Auffaffung nicht grofs, ob nun ein Lebrun oder ein Giordano
oder irgend ein Epigone diefer Beiden den breiten und kecken Pinfel führte.
Deutfchland war aber damals hinhchtlich der Kunft vom Wehen wie vom
Süden ungefähr gleich beeinhufst. Von Selbhändigkeit war kaum irgendwo eine
Spur, und die Abhängigkeit fo blind, dafs man hch daran gewöhnt hatte,
nicht blos von deutfcher Art, fondern auch von deutfchen Händen überhaupt
nichts Nennenswerthes mehr zu erwarten. Auch der niederländifche Einhufs
hatte aufgehört, feit die Kunft nur noch dazu da zu fein fchien, fürhlichen
Luxus mit aller wünfchenswerthen Prachtentfaltung in den Rehdenzen zu be-
dienen. Denn wie allerwärts, fo war auch in Deutfchland zu Anfang des 18.
Jahrhunderts die Kunft rein höhfch. Von den Höfen aber hatte damals, nachdem
der pfälzifche und bayerifche wie der öfterreichifche Hof in ihrer kunhliebenden
und -fördernden Tendenz entfchieden zurückgegangen waren, der kurfächhfche
vor Allen der Kunft eine Phegehätte eröffnet, getragen von einer mehr unter-
teilen, uneigennützigen und verftändnifsreichen Auffaffung, als he felbft am
brandenburgifchen und an einigen geiftlichen Fürftenhöfen herrfchte, wo die Kunft
entweder rein decorativen Zwecken und fo viel als möglich praktifchen Bedürf-
niffen oder vorwiegend der Prachtliebe und dem Luxus huldigen follte. Freilich
hatte im 16. und 17. Jahrhundert die Sucht, dieRaritäten-Cabinette oder fogenann-
ten Kunftkammern immer mehr mit wunderlichen Koftbarkeiten aus dem Gebiete
des Kunfthandwerks und rafhnirter Techniken fowohl wie aus dem Gebiete felte-
ner Naturfchöpfungen zu bereichern, das Uebergewicht über die Neigung zu
eigentlichen Kunftfammlungen oder Neufchöpfungen, und es darf fogar behauptet
werden, dafs die hierher bezüglichen Beftrebungen Albrecht's V. von Bayern
entfchieden mehr Anfpruch auf höheren Kunftfinn verrathen, als die des fäch-
fifchen Kurhaufes, wie ein Vergleich der Refte der einftigen Münchener Kunft-
kammer in der Schatzkammer und der fog. Reichen-Kapelle der bayerifchen
Rehdenz mit den Schätzen des grünen Gewölbes zu Dresden wohl belegen kann;
allein es hatten doch auch fchon die drei Johann Georg von 1611—1694 zunehmend
der Malerei ihre Huld zugewandt und italienifche, franzöflfche und niederländifche
Künftler an ihren Hof berufen. Doch erft unter Auguft II., dem Starken,
(1694—1733), wurde Dresden eine Kunftftadt. Der in mehr als einem Betracht
höchft merkwürdige Mann hatte als Prinz die glänzendften Höfe Europa's bereift
und dabei nicht ohneVerftändnifs auch denKünften feine Beachtung zugewandt.
Nach feiner Rückkehr aber brannte er vor Begierde, feine bis dahin höchft ärm-
liche Rehdenz zu ähnlichem Glanze zu erhöhen, wie er ihn an den italienifchen
Fürftenhtzen, vornehmlich aber an dem damals tonangebenden Hofe Europa's,
dem franzöfifchen zu Verfailles, gefehen. Das Dresdener Theater wurde eine
Heimath der franzöfifchen Dichtergröfsen Ludwig's XIV; die älteren, wie die neuen
ANTON RAPHAEL MENGS.
wie das ganze Rococo von vornherein zu nur kurzem Leben beftimmt. Die
Lebrun'fche Schule überdauerte he und überflügelte he namentlich an Aus-
breitung; denn die Plafonds und Saalwände bedurften nach wie vor jenes
grofsen lärmenden Pompes, wie ihn diekosmopolitifche Decorationskunft, für
welche noch immer Italien tonangebend war, welche aber der Hof Ludwig's XIV.
befonders gehegt hatte, feit einem Jahrhundert entwickelte. In der That ifl der
Unterfchied in der Auffaffung nicht grofs, ob nun ein Lebrun oder ein Giordano
oder irgend ein Epigone diefer Beiden den breiten und kecken Pinfel führte.
Deutfchland war aber damals hinhchtlich der Kunft vom Wehen wie vom
Süden ungefähr gleich beeinhufst. Von Selbhändigkeit war kaum irgendwo eine
Spur, und die Abhängigkeit fo blind, dafs man hch daran gewöhnt hatte,
nicht blos von deutfcher Art, fondern auch von deutfchen Händen überhaupt
nichts Nennenswerthes mehr zu erwarten. Auch der niederländifche Einhufs
hatte aufgehört, feit die Kunft nur noch dazu da zu fein fchien, fürhlichen
Luxus mit aller wünfchenswerthen Prachtentfaltung in den Rehdenzen zu be-
dienen. Denn wie allerwärts, fo war auch in Deutfchland zu Anfang des 18.
Jahrhunderts die Kunft rein höhfch. Von den Höfen aber hatte damals, nachdem
der pfälzifche und bayerifche wie der öfterreichifche Hof in ihrer kunhliebenden
und -fördernden Tendenz entfchieden zurückgegangen waren, der kurfächhfche
vor Allen der Kunft eine Phegehätte eröffnet, getragen von einer mehr unter-
teilen, uneigennützigen und verftändnifsreichen Auffaffung, als he felbft am
brandenburgifchen und an einigen geiftlichen Fürftenhöfen herrfchte, wo die Kunft
entweder rein decorativen Zwecken und fo viel als möglich praktifchen Bedürf-
niffen oder vorwiegend der Prachtliebe und dem Luxus huldigen follte. Freilich
hatte im 16. und 17. Jahrhundert die Sucht, dieRaritäten-Cabinette oder fogenann-
ten Kunftkammern immer mehr mit wunderlichen Koftbarkeiten aus dem Gebiete
des Kunfthandwerks und rafhnirter Techniken fowohl wie aus dem Gebiete felte-
ner Naturfchöpfungen zu bereichern, das Uebergewicht über die Neigung zu
eigentlichen Kunftfammlungen oder Neufchöpfungen, und es darf fogar behauptet
werden, dafs die hierher bezüglichen Beftrebungen Albrecht's V. von Bayern
entfchieden mehr Anfpruch auf höheren Kunftfinn verrathen, als die des fäch-
fifchen Kurhaufes, wie ein Vergleich der Refte der einftigen Münchener Kunft-
kammer in der Schatzkammer und der fog. Reichen-Kapelle der bayerifchen
Rehdenz mit den Schätzen des grünen Gewölbes zu Dresden wohl belegen kann;
allein es hatten doch auch fchon die drei Johann Georg von 1611—1694 zunehmend
der Malerei ihre Huld zugewandt und italienifche, franzöflfche und niederländifche
Künftler an ihren Hof berufen. Doch erft unter Auguft II., dem Starken,
(1694—1733), wurde Dresden eine Kunftftadt. Der in mehr als einem Betracht
höchft merkwürdige Mann hatte als Prinz die glänzendften Höfe Europa's bereift
und dabei nicht ohneVerftändnifs auch denKünften feine Beachtung zugewandt.
Nach feiner Rückkehr aber brannte er vor Begierde, feine bis dahin höchft ärm-
liche Rehdenz zu ähnlichem Glanze zu erhöhen, wie er ihn an den italienifchen
Fürftenhtzen, vornehmlich aber an dem damals tonangebenden Hofe Europa's,
dem franzöfifchen zu Verfailles, gefehen. Das Dresdener Theater wurde eine
Heimath der franzöfifchen Dichtergröfsen Ludwig's XIV; die älteren, wie die neuen