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BARTOLOME ESTEBAN MURILLO.
gothifchen Bauten anderer Länder. Es waren Werke der chriftlich mittelalter-
lichen Cultur, die innerhalb ihrer eigentümlichen Kunftformen eine nationale
Verfchiedenartigkeit nur erft wenig hatte hervortreten laffen. Spaniens Schickfal
war, dafs in feiner Gefchichte das Mittelalter länger lebendig und mächtig blieb,
als in allen übrigen Culturländern Europa's. An den grofsen geiftigen Be-
wegungen, in denen hch während des 1$. Jahrhunderts die mittelalterliche
Bildung auflöfte und ein neues Weltalter, die Zeit der italienifchen Renaiffance
und der deutfehen Reformation, vorbereitete, hatte Spanien keinen Antheil
gehabt. Das Ringen um die politifche Exiftenz, der Kampf gegen die Mauren
und die fortwährenden Kriege im Innern der einzelnen Staaten nahmen die
Kraft des Volkes bis ans Ende diefes Jahrhunderts fafl ausfchliefslich in An-
fpruch. Erft feit der Vereinigung der Kronen von Aragon und Caftilien und
dem Erlöfchen der maurifchen Herrfchaft konnten fleh die Culturbeftrebungen im
chriftlichen Spanien mit gröfserer Freiheit entwickeln. Aber auch dann noch blieb
das Volk gegen jene grofsen Geiftesrevolutionen der neuen Zeit faft gänzlich ver-
fchloffen. Als Culturelement hat die Renaiffance in Spanien jedenfalls keine tief-
gehende Wirkung gehabt; in kirchlicher, politifcher und focialer Beziehung blieb
das Land von den Ideen der Renaiffance faft unberührt, wenn auch dieKunftformen
derfelben fleh Eingang verfchafften. Das Eindringen der Reformation aber ward
von Anfang an auf das Entfchiedenfte abgewehrt. In den langen blutigen Kämpfen
mit den Mauren war der Katholicismus mit den nationalen Intereffen des Volkes
fo innig verwachfen, dafs fchon deshalb die antikatholifche Richtung der
Renaiffance und Reformation in Spanien wenig Boden gewinnen konnte. Die
hierarchifche Gewalt blieb, wie das mittelalterliche Feudalfyftem, im Wefentlichen
beftehen, die Kirche blieb die Vormünderin und Befchützerin der Cultur, die
Kunft arbeitete faft fo ausfchliefslich wie im Mittelalter in ihrem Dienfte. Kein
Wunder daher dafs, als fleh gegen das Ende des 16. Jahrhunderts der Katholi-
cismus im Kampfe gegen die Reformation wiederherftellte und verjüngte, diefe
reftaurirte Religiofltät, die man als den modernen Katholicismus bezeichnen kann,
fleh nirgends entfehiedener und lebendiger entwickelte als in Spanien; nirgends
hat diefer Katholicismus in Kunft und Literatur bedeutendere Vertreter gefunden
als hier. Die fpanifche Kunft, vor allem die fpanifche Malerei in der Zeit
ihrer nationalen Selbftändigkeit, ift recht eigentlich die Kunft des reftaurirten
Katholicismus.
Nach culturgefchichtlicher Seite wird daher das Urtheil über Werth und Be-
deutung der fpanifchen Kunft wefentlich abhängen von dem Urtheil über die
Bedeutung diefes Katholicismus. Vom rein künftlerifchen Geflchtspunkt, der
natürlich feine felbftändige Berechtigung behält, pflegen die Meifter der fpanifchen
Malerei gegenwärtig fehl* hoch gefchätzt zu werden; man pflegt ihre Werke,
wenn es aüch nicht an einzelnen zweifelnden Stimmen fehlt, zu den glän-
zendften Leitungen zu zählen, die in der Gefchichte der Malerei überhaupt zu
Tage getreten.
Bis zu ihrer Blütheperiode von den wechfelnden Einhüffen fremder Schulen
auf das entfchiedenfte abhängig, bietet die fpanifche Malerei doch auch während
diefer Zeit ihrer Unfelbftändigkeit manche intereffante Erfcheinung. Mit der
BARTOLOME ESTEBAN MURILLO.
gothifchen Bauten anderer Länder. Es waren Werke der chriftlich mittelalter-
lichen Cultur, die innerhalb ihrer eigentümlichen Kunftformen eine nationale
Verfchiedenartigkeit nur erft wenig hatte hervortreten laffen. Spaniens Schickfal
war, dafs in feiner Gefchichte das Mittelalter länger lebendig und mächtig blieb,
als in allen übrigen Culturländern Europa's. An den grofsen geiftigen Be-
wegungen, in denen hch während des 1$. Jahrhunderts die mittelalterliche
Bildung auflöfte und ein neues Weltalter, die Zeit der italienifchen Renaiffance
und der deutfehen Reformation, vorbereitete, hatte Spanien keinen Antheil
gehabt. Das Ringen um die politifche Exiftenz, der Kampf gegen die Mauren
und die fortwährenden Kriege im Innern der einzelnen Staaten nahmen die
Kraft des Volkes bis ans Ende diefes Jahrhunderts fafl ausfchliefslich in An-
fpruch. Erft feit der Vereinigung der Kronen von Aragon und Caftilien und
dem Erlöfchen der maurifchen Herrfchaft konnten fleh die Culturbeftrebungen im
chriftlichen Spanien mit gröfserer Freiheit entwickeln. Aber auch dann noch blieb
das Volk gegen jene grofsen Geiftesrevolutionen der neuen Zeit faft gänzlich ver-
fchloffen. Als Culturelement hat die Renaiffance in Spanien jedenfalls keine tief-
gehende Wirkung gehabt; in kirchlicher, politifcher und focialer Beziehung blieb
das Land von den Ideen der Renaiffance faft unberührt, wenn auch dieKunftformen
derfelben fleh Eingang verfchafften. Das Eindringen der Reformation aber ward
von Anfang an auf das Entfchiedenfte abgewehrt. In den langen blutigen Kämpfen
mit den Mauren war der Katholicismus mit den nationalen Intereffen des Volkes
fo innig verwachfen, dafs fchon deshalb die antikatholifche Richtung der
Renaiffance und Reformation in Spanien wenig Boden gewinnen konnte. Die
hierarchifche Gewalt blieb, wie das mittelalterliche Feudalfyftem, im Wefentlichen
beftehen, die Kirche blieb die Vormünderin und Befchützerin der Cultur, die
Kunft arbeitete faft fo ausfchliefslich wie im Mittelalter in ihrem Dienfte. Kein
Wunder daher dafs, als fleh gegen das Ende des 16. Jahrhunderts der Katholi-
cismus im Kampfe gegen die Reformation wiederherftellte und verjüngte, diefe
reftaurirte Religiofltät, die man als den modernen Katholicismus bezeichnen kann,
fleh nirgends entfehiedener und lebendiger entwickelte als in Spanien; nirgends
hat diefer Katholicismus in Kunft und Literatur bedeutendere Vertreter gefunden
als hier. Die fpanifche Kunft, vor allem die fpanifche Malerei in der Zeit
ihrer nationalen Selbftändigkeit, ift recht eigentlich die Kunft des reftaurirten
Katholicismus.
Nach culturgefchichtlicher Seite wird daher das Urtheil über Werth und Be-
deutung der fpanifchen Kunft wefentlich abhängen von dem Urtheil über die
Bedeutung diefes Katholicismus. Vom rein künftlerifchen Geflchtspunkt, der
natürlich feine felbftändige Berechtigung behält, pflegen die Meifter der fpanifchen
Malerei gegenwärtig fehl* hoch gefchätzt zu werden; man pflegt ihre Werke,
wenn es aüch nicht an einzelnen zweifelnden Stimmen fehlt, zu den glän-
zendften Leitungen zu zählen, die in der Gefchichte der Malerei überhaupt zu
Tage getreten.
Bis zu ihrer Blütheperiode von den wechfelnden Einhüffen fremder Schulen
auf das entfchiedenfte abhängig, bietet die fpanifche Malerei doch auch während
diefer Zeit ihrer Unfelbftändigkeit manche intereffante Erfcheinung. Mit der