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BARTOLOME ESTEBAN MURILLO.
mehr, als fonft bei Murillo, betont ift, gehört zu den früheren Werken des
Künftlers und ift in der farbigen Wirkung etwas hart, aber trefflich gezeichnet
und charakteriftifch lebendig im Ausdruck.
Eine grofse Zahl, meift in Lebensgröfse ausgeführter Darftellungen der
h. Familie und der Madonna mit dem Kinde trägt gleichfalls den Charakter der
eben bezeichneten Gattung. Maria ift hier in der Regel nur ein einfaches anda-
luhfches Mädchen mit ernften dunklen Augen, liebenswürdig naiv, doch ohne
höhere Schönheit und ohne den Ausdruck einer ideal gefteigertcn Empfindung;
der Chriflusknabe, faft immer ein reizendes Kind voll munterer Lebensfreude,
gewinnt zuweilen, befonders in den auch noch genrehaft gehaltenen Bildern, wo
er allein, nicht in Verbindung mit der Mutter dargeftellt ifl, einen erhöhten
ahnungsvollen Ausdruck, in den fleh aber leicht etwas wie abfichtliche Bedeut-
famkeit mifcht. Von köfllicher Frifche in Auffaffung und Behandlung, ganz naiv,
mit dem Ausdruck jenes eigentümlichen Ernftes in den glänzenden Augen, der
bei Kindern oft fo feltfam ergreift, ift der viclgerühmte Chriftusknabe mit dem
Lamm (El nino Dios, pastor) im Mufeo del Prado zu Madrid, ein Juwel der
Sammlung, das aber an blühender Schönheit der Farbe noch übertroffen wird
durch die Gruppe des kleinen Johannes und Jefus, -der jenem mit ungemein an-
mutiger Geberde aus einer Mufchel zu trinken giebt. (Los Ninos de la concha,
gleichfalls im Mufeo del Prado zu Madrid.) — Die ebenda befindliche, foge-
nannte "Erziehung der Maria« (die hl. Anna unterrichtet Maria aus einem Buche),
eine Genrefcene mit durchaus porträtartigen, höchft lebensvollen Figuren, ein
vorzügliches Werk aus Murillo's letzter Zeit, foll von Pacheco, vermutlich
wegen des auffällig modernen Coftüms der Gehalten, für nicht orthodox erklärt
worden fein. Gleichwohl ift die anmutige Compoftion, wie Tubino angiebt,
von Murillo felbft wiederholt worden.^)
Ein Gemälde, das den Naturalismus Murillo's vielleicht auf der höchften Stufe
feiner Entwickelung zeigt, ift die h. Elifabeth, Kranke heilend, urfprünglich für
das Hofpital de la Caridad gemalt, jetzt eine der gröfsten Zierden der Akademie
San Fernando in Madrid. Mit der höchften naturaliftifchen Schärfe verbindet fleh
hier eine künftlerifche Feinheit und malerifche Vollendung, die viele Bewunderer
Murillo's beftimmt hat, diefes Bild für fein coloriftifches Meifterwerk zu erklären.
In der Darftellung des Häfslichen ift ein Aeufserftes gewagt. Der widrige Ausfatz
des Knaben, deffen Kopf die h. Elifabeth heilend berührt, und die Schäden und
Gebrechen der übrigen Kranken, die vor der Halle noch der Heilung harren,
find mit der fchonungslofeften Realiftik gefchildert, der Gegenfatz ihrer Noth zu
der mild verklärten Geftält der fürftlich vornehmen Helferin konnte nicht herber
ausgedrückt werden. Aber gerade die Schärfe diefes Gegenfatzes läfst die zarte
Schönheit und den Ausdruck edlen Erbarmens im Charakter der Heiligen um
fo rührender und ergreifender erfcheinen. Die Wirkung des Colorits ift be-
wunderungswürdig. Die Gruppe der Heiligen und ihrer Begleiterinnen unter der
Halle ift in einem kühlen, filberartigen Tone gehalten, der gegen den bräun-
lichen, das heifse Sonnenlicht widerfpiegelnden Farbenton in der Gruppe der
Harrenden bedeutfam, gewiffermafsen fymbolifch contraftirt, während die Feinheit
der Uebergänge den Gegenfatz zugleich mildert und ktinftlerifch ausgleicht.
BARTOLOME ESTEBAN MURILLO.
mehr, als fonft bei Murillo, betont ift, gehört zu den früheren Werken des
Künftlers und ift in der farbigen Wirkung etwas hart, aber trefflich gezeichnet
und charakteriftifch lebendig im Ausdruck.
Eine grofse Zahl, meift in Lebensgröfse ausgeführter Darftellungen der
h. Familie und der Madonna mit dem Kinde trägt gleichfalls den Charakter der
eben bezeichneten Gattung. Maria ift hier in der Regel nur ein einfaches anda-
luhfches Mädchen mit ernften dunklen Augen, liebenswürdig naiv, doch ohne
höhere Schönheit und ohne den Ausdruck einer ideal gefteigertcn Empfindung;
der Chriflusknabe, faft immer ein reizendes Kind voll munterer Lebensfreude,
gewinnt zuweilen, befonders in den auch noch genrehaft gehaltenen Bildern, wo
er allein, nicht in Verbindung mit der Mutter dargeftellt ifl, einen erhöhten
ahnungsvollen Ausdruck, in den fleh aber leicht etwas wie abfichtliche Bedeut-
famkeit mifcht. Von köfllicher Frifche in Auffaffung und Behandlung, ganz naiv,
mit dem Ausdruck jenes eigentümlichen Ernftes in den glänzenden Augen, der
bei Kindern oft fo feltfam ergreift, ift der viclgerühmte Chriftusknabe mit dem
Lamm (El nino Dios, pastor) im Mufeo del Prado zu Madrid, ein Juwel der
Sammlung, das aber an blühender Schönheit der Farbe noch übertroffen wird
durch die Gruppe des kleinen Johannes und Jefus, -der jenem mit ungemein an-
mutiger Geberde aus einer Mufchel zu trinken giebt. (Los Ninos de la concha,
gleichfalls im Mufeo del Prado zu Madrid.) — Die ebenda befindliche, foge-
nannte "Erziehung der Maria« (die hl. Anna unterrichtet Maria aus einem Buche),
eine Genrefcene mit durchaus porträtartigen, höchft lebensvollen Figuren, ein
vorzügliches Werk aus Murillo's letzter Zeit, foll von Pacheco, vermutlich
wegen des auffällig modernen Coftüms der Gehalten, für nicht orthodox erklärt
worden fein. Gleichwohl ift die anmutige Compoftion, wie Tubino angiebt,
von Murillo felbft wiederholt worden.^)
Ein Gemälde, das den Naturalismus Murillo's vielleicht auf der höchften Stufe
feiner Entwickelung zeigt, ift die h. Elifabeth, Kranke heilend, urfprünglich für
das Hofpital de la Caridad gemalt, jetzt eine der gröfsten Zierden der Akademie
San Fernando in Madrid. Mit der höchften naturaliftifchen Schärfe verbindet fleh
hier eine künftlerifche Feinheit und malerifche Vollendung, die viele Bewunderer
Murillo's beftimmt hat, diefes Bild für fein coloriftifches Meifterwerk zu erklären.
In der Darftellung des Häfslichen ift ein Aeufserftes gewagt. Der widrige Ausfatz
des Knaben, deffen Kopf die h. Elifabeth heilend berührt, und die Schäden und
Gebrechen der übrigen Kranken, die vor der Halle noch der Heilung harren,
find mit der fchonungslofeften Realiftik gefchildert, der Gegenfatz ihrer Noth zu
der mild verklärten Geftält der fürftlich vornehmen Helferin konnte nicht herber
ausgedrückt werden. Aber gerade die Schärfe diefes Gegenfatzes läfst die zarte
Schönheit und den Ausdruck edlen Erbarmens im Charakter der Heiligen um
fo rührender und ergreifender erfcheinen. Die Wirkung des Colorits ift be-
wunderungswürdig. Die Gruppe der Heiligen und ihrer Begleiterinnen unter der
Halle ift in einem kühlen, filberartigen Tone gehalten, der gegen den bräun-
lichen, das heifse Sonnenlicht widerfpiegelnden Farbenton in der Gruppe der
Harrenden bedeutfam, gewiffermafsen fymbolifch contraftirt, während die Feinheit
der Uebergänge den Gegenfatz zugleich mildert und ktinftlerifch ausgleicht.