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Dohme, Robert; Dohme, Robert [Hrsg.]; Lücke, Hermann [Hrsg.]
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (3): Kunst und Künstler Spaniens, Frankreichs und Englands bis gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1880

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Wessely, Joseph Eduard: J.B. Siméon Chardin: geb. in Paris 1699, gest. ebenda 1779
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https://doi.org/10.11588/diglit.36321#0302

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J. B. SIMEON CHARDIN.

damals Hofmaler war und von mancher Seite protegirt wurde, fo ifl er doch
nur eine untergeordnete Kraft. Man braucht nur feine bekannte Compohtion
«Pyramus und Thisbe", die Lempereur geftochen hat, anzufehen, um die
Gedankenarmuth und Unbehilflichkeit im Ausdruck wahrzunehmen. Es wird
erzählt, dafs Cazes arm war und defshalb nicht nach dem lebenden Modell
malen konnte: seine Werke fcheinen es zu beftätigen. Während bei manchen
Künfllern das Modell aus allen Ecken ihrer Bilder sich vordrängt, sind die Werke
des Cazes wie nach einem abstracten Recept componirt, ohne Blut und Leben.
Chardin mufste, wie die damalige Unterrichtsmethode dies mit sich brachte,
die Bilder seines Lehrers copiren. Der gute Genius wachte aber über dem
jungen Kunfteleven und brachte ihn mit dem Maler Emanuel Nie. Coypel
in Berührung, der das verborgene Talent entdeckte und ihm Gelegenheit zum
Durchbruch gab, indem er Chardin als Gehilfen in fein Atelier nahm. Deffen
erfle Arbeit behänd hier darin, ein Gewehr nach der Natur zu malen. Es war
dies eine fcheinbar unbedeutende Aufgabe, bedingt durch das Bild, das Portrait
eines Jägers. Je mehr sich Chardin aber in feine Aufgabe verfenkte, defto reiz-
voller erfchien he ihm; er fühlte zum erften Male die Wahrheit, dafs man auch
das Einfachfte, Geringfte durch Auffaffung und correcte Wiedergabe mit der Weihe
der Kunft umgeben kann. Die Kunft — feine Kunft —, die bis jetzt als dunkle
Ahnung in feinem Bufen ruhte, wurde ihm mit einem Male erfchlohen.
Chardin mag auf diefe Weife eine befondere Vorliebe für Malerei des Still-
lebens gewonnen haben, feine weitere Kunhthätigkeit verbietet uns aber zu glauben,
dafs er hch ausfchliefslich mit ihr befchäftigt habe. Gewifs wird er bei Coypel,
wie früher bei Cazes, auch Figürliches gezeichnet und gemalt haben. Wie hätte
er hch fonh an den Aushängefchild des Chirurgen gewagt, von dem uns die
Biographen fo viel erzählen. Leider weifs keiner der Letzteren uns das Jahr zu
nennen, in welches die Herstellung diefes Schildes fällt; wir glauben he in die
Zeit kurz vor 1728, wo Chardin mit eigenen Compohtionen zum erften Male vor
die Oeffentlichkeit trat, jedenfalls nicht nach 1732 setzen zu mühen. Der Chirurg,
dehen Name uns übrigens nicht genannt wird, war ein Freund im Haufe Chardin,
und fo erklärt hch fein Wunsch, beim Sohne feines Freundes für feine Ofhzin
ein Schild (oder einen Plafond, wie man es damals nannte) zu beftellen. Chardin
malte ein hgurenreiches Genrebild; er hellte den Chirurgus in feiner Ofhzin mitten
in feiner Thätigkeit dar, wie er einem im Duell Verwundeten, der ihm zugebracht
worden, Hilfe leihet. Es drängen hch viele Neugierige herbei, welche die Haupt-
gruppe umhehen, auch die Obrigkeit; der Polizeikommihar kommt mit ernher
Amtsmiene, um den Thatbehand zu unterfuchen. Chardin malte hier im Rahmen
eines Genrebildes ein Stück Parifer Lebens, und die Compohtion in ihrer reichen
Gliederung hatte etwas Dramatifches, wie es etwa bei Greuze hervortritt. Nie
mehr in feinem langen thätigen Leben hat er etwas Aelmliches gefchaffen. Als
das Schild aufgehellt wurde, enthand vor dem Lokal des Chirurgen ein förm-
licher Volksauflauf Chardin wurde nun mit einem Male bekannt, und felbh Künhler
von Ruf kamen herbei, um hch das Werk eines bis jetzt namenlofen Malers an-
zufehen. Nach dem Tode Chardin's tauchte das Bild 1783 noch einmal auf;
der Neffe des Künhlers, ein Bildhauer, erwirbt es in der Auction Lebas' für
 
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