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Dohme, Robert; Dohme, Robert [Editor]; Lücke, Hermann [Editor]
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (3): Kunst und Künstler Spaniens, Frankreichs und Englands bis gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1880

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Dohme, Robert: Jean Greuze: geb. in Tournus 1725, gest. in Paris 1805
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https://doi.org/10.11588/diglit.36321#0344

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JEAN GREUZE.

heute Tagen mühen. Denn nicht um die ruhige Schilderung des wirklichen Lebens,
welches in der fchlichten, naiven Echtheit der Situation feine ergreifende Wirkung
übt, handelt es hch bei ihm, fondern er wendet lieh mit ganz beftimmter Tendenz
an das Herz der Menge, die er ergreifen, rühren, erbauen will.
Im Leben Watteau's ilt eingehender darauf hingewiefen worden, wie man in
Frankreich feit der Renaiffancezeit in Literatur und Kunlt die Gehalten der
antiken Götter- und Heroenwelt mehr und mehr als bequemen, auch ohne
eigenen Kraftaufwand des Künftlers allgemein verftändlichen Ausdruck für be-
himmte Charaktere einbürgerte, und dafs dies endlich dazu geführt hatte,
dafs die franzöhfche Malerei mit Vorliebe «antike Stoffe" auffuchte. Für das
Hiftorienbild ift dies felbftverftändlich; aber auch das Sittenbild bewegt hch in
der Schilderung von allerhand mythologifchen und bucolifchen Anekdoten mit
ihren ewig lächelnden und ewig liebelnden Venus- und Amor-, Nymphen- und
Hirtengehalten. Waren doch die Ideale des damaligen Menfchengefchlechtes in der
That zum guten Theil in diefer leichtlebigen Genufswelt befchloffen. Dafs freilich
das wirkliche Leben grell damit contrahirte, konnte jeder Einzelne täglich an den
grofsen und kleinen Sorgen des Alltagsdafeins abmeffen. Gerade deshalb aber
forderte die franzöhfche Anfchauung — im Gegenfatz zur holländifchen — von
der Kunh die fchöne Täufchung; bis dann mit dem Umfichgreifen der ratio-
nalihifchen und naturphilofophifchen Ideen mit ihren nüchternen Utilitätsdoctrinen
plötzlich das Lofungswort ertönte: Nicht ergötzen; belehren, beffern foll die
Kunh; Vorbilder fchaffen den Guten zur Erhebung und Begeiherung, zum
warnenden Beifpiel den Schlechten 1
«Moralifche Erzählungen in Bildern gebend, ih etwa der Kern deffen, was
Diderot vom Maler verlangt. Er zuerh hat in der Literatur diefe Forderung
gehellt, die durch etwa ein Menfchenalter ihr Wefen trieb, Greuze zuerh he ver-
wirklicht. Und fo fehr fprachen Beide damit den allgemeinen Gedanken der Zeit
aus, fo fehr war man überfättigt von dem ewigen Götterfrühling, dafs das Publikum,
welches noch eben einen Boucher und Grecourt gefeiert, fofort den Neueren zuhel,
jetzt ihr fo entgegengefetztes Streben mit reichhem Beifall lohnend.
Im Wefen des lehrhaften Tones, den Greuze anfehlug, fchon lag es bedingt,
dafs er bei allem Streben nach Naturwahrheit diefe Wahrheit doch möglichh zu-
gefpitzt auffuchte. Dafs er ihr freilich damit bereits wieder ein gut Theil ihrer
Allgemeingültigkeit raubte, kam ihm nicht zum Bewufstfein. So fehlt feinen
Bildern jenes erhe Kriterium alles objectiven liebevollen Verfenkens in die Natur:
das Naive, die Unbefangenheit. Nicht deshalb, weil fein Künfllerauge nicht anders
kann, fucht er die Wahrheit, fondern als das Refultat moralifch-philofophifcher
Reflexion Erebt er nach der Natürlichkeit. Das liebevolle, möglich!! vorurtheils-
freie Verfenken in die Schilderung des ruhig dahin fliefsenden Dafeins, wie wir
es bei Metfu, Terborch, van der Meer, Dou u. A. finden, genügte jetzt eben fo
wenig, wie der lebensfrohe Humor eines Brouwer, Teniers, Steen, Oftade. Greuze
fucht mit Vorliebe Kataftrophen des häuslichen Lebens auf, oder aber dick auf-
getragene Schilderungen häuslichen Glückes; und in beiden Fällen foll der mit
didaktifchem Hintergedanken gewählte Titel die Abficht des Künftlers noch ver-
ftärken. So entftanden Bilder wie: «Des Vaters Fluch'), «Des Vaters Segen",
 
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