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Krumm, Carolin [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 13,2): Region Hannover: nördlicher und östlicher Teil; mit den Städten Burgdorf, Garbsen, Langenhagen, Lehrte, Neustadt a. Rbge., Sehnde, Wunstorf und den Gemeinden Burgwedel, Isernhagen, Uetze und Wedemark — Hameln, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.44258#0198
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Garbsen und Umland, Kurhannoversche Landesaufnahme, aufgen. 1781, Ausschnitt (Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen)


Ortschaft hat sich bis Ende des 19.Jh. vorwie-
gend gegen Norden (heutige Berenbosteler
Straße) und Osten (Konrad-Adenauer-Straße)
erweitert, da das südliche Leineüberschwem-
mungsgebiet eine Überbauung wesentlich
erschwerte.
Erst 1886 siedelte sich im bäuerlich-ländlich
geprägten Ort (1857: 11 Meier, sechs Großköt-
ner, sechs Kleinkötner, acht Brinksitzer, zehn
Anbauern und vier Abbauern) eine Ziegelei als
das erste industrielle Unternehmen Garbsens
an, dem zahlreiche weitere Niederlassungen im
gesamten Ortsgebiet folgten (1924/25 Hanno-
versche Dampfziegelei, Hartsteinwerk Hansa
1929, Hartsteinwerk Garbsen 1930 etc.). Dabei
mag zu dieser Entwicklung die Nähe Hannovers
ebenso beigetragen haben wie der Bau des
südlich verlaufenden Mittellandkanals, an dem
sich Garbsen eine örtliche Anlegestelle sicherte
(1918).
Den historischen Kernbereich Garbsens, heute
Alt-Garbsen genannt, zeichnen die von
Ziegelmauern der Hofstellen begleiteten Stra-
ßenzüge Hannoversche Straße, Calenberger
Straße und Seebeeke nach, die als Straßen-
rund den geschwungen geführten Kirchweg
umziehen.
An seinem südlichen Ende wurde 1843 der
überkommene klassizistische Kirchenbau
(Calenberger Straße) errichtet, ein steinsichti-
ger, turmloser Saalbau, der in seiner klaren
Kubatur, den schlanken, rhythmisierenden
Bahnenfenstern und der Farbdominanz der ro-
ten Ziegel die klare Bausprache F. A. L. Hellners
trägt. Erst zwischen 1905 und 1907 wurde der
neobarocke Dachturm mit seiner geschweiften

Haube aufgesetzt und vermutlich auch die
gesamte Westfront neobarock überprägt, so
dass heute ein klarer Kontrast zwischen der
Eingangsseite und der streng gegliederten
Ostseite den Kirchenbau dominiert.
Im Innern umzieht eine von schlanken Säulen
abgefangene Empore vierseitig den flach
gedeckten Kirchenraum, wobei sie im Osten
die vorspringende Kanzel des breit lagernden
Umgangsaltars mit einbezieht. Ihr steht im
Westen ein barocker Orgelprospekt mit zinner-
nen Pfeifen gegenüber, der vor 1680 von dem
niederländischen Orgelbaumeister Gerd de
Mare für die Hannoversche Marktkirche ge-
schaffen worden war; 1715 ging die zwischen-
zeitlich nach Marienwerder übergegangene
Orgel in Garbsener Besitztum über.
Die Kirche markiert die Mitte des allseitig deut-
lich abfallenden Kirchhofes, der aufgrund seiner
erhöhten, weitgehend trockenen Lage auch
Bestattungsplatz des Dorfes war; noch heute
weist er eine kleine Anzahl historischer Grab-
male auf, zumeist Stelen und Postamente
abgegangener Grabkreuze des späten 19.Jh.
Das unmittelbar gegenüber aufgehende
Zweiständerhallenhaus Calenberger Straße
24 gehört laut Bauinschrift „1731 ” zu den ältes-
ten Bauten Alt-Garbsens. Ungewöhnlich ist der
Vorsprung des gerasterten Giebeltrapezes
(holzverschalter Spitzgiebel) direkt über den
eng gesetzten, kopfstrebenverstärkten Stän-
dern (sog. tief liegende Giebelschwelle). Alter-
tümlich präsentieren sich auch die den Giebel-
vorsprung abtragenden, diamantierten Tau-
bandknaggen; symmetrisch gesetzte Linden
und Eichen unterstreichen das nostalgische
Ambiente der Hofstelle.

Eine schmale Straße (Seekamp) läuft von hier
aus auf eines der größten Gehöfte Alt-Garb-
sens zu, die Hofstelle Seebeeke 73, die von
Nordosten eine zweite Zuwegung entlang der
namengebenden Straße Seebeeke erschließt:
Seit der tiefgreifenden Instandsetzung der
Hofstelle 1976 stellt das Vierständerhallenhaus
einen prächtigen Blickpunkt innerhalb der drei-
seitigen Wirtschaftshofbebauung dar, die sich
nach Norden hin öffnet. Das Haupthaus zeigt
die für die 2. Hälfte des 19.Jh. („1861 ”) typische
Abzimmerung in gleichmäßig quadratischen
Gefachen, die dem Steilgiebel eine fast netz-
werkartige Struktur verleiht. Torständerverzie-
rung (kannelierte Pilaster) und Inschriften- und
Mäanderbänder erhöhen den dekorativen
Schauwert des Hallenhauses. Karniesknaggen
charakterisieren hingegen die Längsdurch-
fahrtsscheune an der zurückliegenden Hofzu-
fahrt, deren Giebel eine enge, von Kopf- und
Fußbändern verstärkte Ständerfolge rhythmi-
siert; leider wurde ein Großteil der Wände und
Ausfachungen modern ersetzt. Neben einem
Wagenschauer rundet ein gebrochen geführter,
in eine Scheune mit Quereinfahrt einmündender
Stalltrakt die Anlage ab (19.Jh.).
Den nordwestlichen Rand Alt-Garbsens domi-
nierte bis vor wenigen Jahren die bürgerliche
Villa der alteingesessenen Familie Schünhoff,
deren mit romantischen Staffagearchitekturen
bereicherter Garten den gehobenen Wohnwert
des Viertels bezeugte. Nach dem Abriss der
Villa und der Auflösung des Gartens unter-
streicht heute vornehmlich das um die Jahrhun-
dertwende errichtete benachbarte Ziegelwohn-
haus Hegerwisch 2 den gehobenen Anspruch
dieser Dorflage, abzulesen an der für ländliche
Verhältnisse selteneren klaren Formensprache

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