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Lufen, Peter Ferdinand [Bearb.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 5,3): Landkreis Göttingen, Teil 2: Altkreis Duderstadt mit den Gemeinden Friedland und Gleichen und den Samtgemeinden Gieboldehausen und Radolfshausen — Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1997

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https://doi.org/10.11588/diglit.44173#0025
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formte, kompakte Haufendörfer, respektive in straßendorfartige Gebilde unterteilt wer-
den können. Sie waren im Laufe der Jahrhunderte vielfältigen Veränderungen und Er-
weiterungen unterworfen, wie auch die Kurhannoversche Landesaufnahme des 18,Jh.,
die Königl. Preuss. Landesaufnahme der 2. Hälfte des 19.Jh. und die zahlreichen Ver-
kopplungskarten des ausgehenden 19.Jh. veranschaulichen.
Während die vornehmlich im Eichsfelder Becken und in der Leineniederung vorherr-
schenden Talsiedlungen die fruchtbaren Böden und hochwasserfreien Lagen zum an-
grenzenden Fluß- und Bachlauf suchten, nutzten die vor allem im südöstlichen Unter-
eichsfeld entstandenen Talhangsiedlungen - zu ihnen gehören auch die sog. „Bergdör-
fer“: Breitenberg, Brochthausen, Fuhrbach, Hilkerode und Langenhagen - die zumeist
sanft ansteigenden Ausläufer der Höhenzüge.
Das Siedlungsbild des Kreisgebietes wird maßgeblich geprägt durch die zahlreichen un-
regelmäßig geformten, kompakten Haufendörfer, die vornehmlich in der weiten flachen
Leinetalniederung und in den Niederungen von Hahle und Rhume vergleichsweise groß
und dicht bebaut sind (Friedland, Groß Schneen, Gieboldehausen, Obernfeld, Mingero-
de, Rhumspringe).
Nahezu alle Haufendörfer sind allmählich gewachsen und paßten sich oft ganz beson-
ders der Landschaftsform an. Ihr wesentliches Merkmal ist das Fehlen einer festen Plan-
gestalt. Ein vertracktes, durch zahlreiche Windungen und Verschwenkungen geprägtes
ungeordnetes Straßen- und Wegenetz überzieht das Haufendorf und läßt keine einheitli-
chen Baufluchten der Höfe entstehen. Schmale Ring- und Erschließungsstraßen be-
grenzen unterschiedlich große, unregelmäßig geformte Parzellen. Aufgelockert wird das
Straßensystem bisweilen durch sich platzartig weitende Straßenknotenpunkte, die zur
Wirkung dieser Siedlungsform beitragen. Bisweilen werden diese markanten Straßen-
knotenpunkte im katholischen Eichsfeld durch prächtige Bildstöcke und Wegekreuze
ausgezeichnet.
Einfluß auf das Dorfbild nimmt auch häufig der mit einer Mauer umfriedete, in der Regel
erhöht gelegene Tie, der seit jeher für die dörfliche Gemeinschaft eine besondere Rolle
spielte (Bühren, Weißenborn, Rittmarshausen, Meensen, Waake). In Dorfmitte, in unmit-
telbarer Nähe der Kirche oder an einem exponierten Straßenkreuzungspunkt angelegt,
ist der seit dem hohen Mittelalter in Schriftquellen nachweisbare Tieplatz entweder mit-
tig mit einer Linde bepflanzt oder mit einem Kranz von Bäumen umgeben. Gelegentlich
ist der Tie im Dorfbild nicht mehr erhalten; jedoch weist häufig der Flurname „Tieanger“
oder „Tieberg“ auf die Existenz des Platzes hin.
Unweit des markanten Tieplatzes liegt der eigentliche Mittelpunkt des Dorfes, das Got-
teshaus. Es bildet die Keimzelle des Ortes und gibt zugleich für die angrenzende Prof-
anbebauung den Maßstab. Wie E. Schröder in seinem bemerkenswerten Beitrag zu den
„Mittelalterlichen Dorf- und Kirchhofbefestigungen im Landkreis Göttingen“ herausarbei-
tete, finden sich befestigte Kirchhöfe in Sattenhausen, Weißenborn, Niedernjesa, He-
demünden, Landwehrhagen und Oberscheden.
Einige Dorfanlagen lassen einen historisch gewachsenen, mehrgliedrigen Aufbau erken-
nen, wie u.a. das Beispiel Obernfeld zeigt. Entwickelt hat sich das heutige unregelmäßig
geformte, festgefügte Haufendorf aus einer straßendorfartigen „linearen“ Anlage, er-
kennbar an der noch heute dominierenden, von Nordwesten nach Südosten verlaufen-
den, leicht gekrümmten Hauptstraße. Entlang der Hauptstraße bildeten sich allmählich
Anlagerungen weiterer besiedelter Dorfbereiche, so daß sich das ursprünglich straßen-
dorfartige Gebilde in der Folgezeit zu einem vielgliedrigen Haufendorf entwickelte, ge-
gliedert durch ein Netz schmaler Erschließungsstraßen.
Im Eichsfelder Becken überwiegen lineare, mehrteilige, straßendorfartige Siedlungsfor-
men (Rollshausen, Bernshausen, Landolfshausen, Falkenhagen), die die weiten, flachen
Ebenen nutzten. Beherrschendes Element ist die Hauptstraße, die große Wohnstraße,
die rückgratförmig mit leichten Krümmungen und Verschwenkungen das gesamte Dorf
durchzieht und von der kurze schmale Erschließungsstraßen und Sackgassen abzwei-
gen. Die Gebäude orientieren sich in Anordnung und Stellung zumeist streng am
Straßenverlauf. Durch den Wechsel von Traufen- und Giebelstellung wirken die Straßen-
räume nicht festgeschlossen, sondern bilden durch Zwei- und Dreiseithöfe mit ihren gie-
belständig ausgerichteten Wohn- bzw. Wohnwirtschaftsgebäuden und den aus der
Straßenflucht zurückspringenden, quer zum Wohnhaus gestellten Scheunen nischenar-
tige Innenhöfe, die gleichsam den Straßenraum öffnen. Ortsbildkonstituierend ist neben
der Hauptstraße die Kirche, deren steil aufragender Westturm die umschließende klein-
teilige Bebauung überragt und weithin sichtbar, als „Dorfkrone“ wirkend, den Mittelpunkt
des Dorfes markiert. Im Umkreis der Kirche verdichtete sich häufig die Bebauung
(Bernshausen) und bildete einen Annex an das linear ausgerichtete Straßendorf.

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