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Kellmann, Thomas
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,3): Stadt Einbeck — Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.65609#0140
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wurden. Die Inventarisation in der Stadt Einbeck
bezog sich ausdrücklich auch auf die ca. 500
erhaltenen Gewölbekeller, die zum Aufgehenden
oft in keinem direkten zeitlichen und baulichen
Zusammenhang stehen. Eine Bewertung allein
der überwiegend jüngeren aufgehenden Sub-
stanz ohne Berücksichtigung der Kellerebene hät-
te die wichtigste Zeitschicht aus der Blütezeit der
Stadt ausgeblendet. Dabei sind es die Keller, die
als die wertvollsten baulichen Bestandteile einer
Hausstelle wichtige Hinweise auf den historischen

Stadtgrundriss und die Nutzungsstruktur der Häu-
ser geben. Erst auf der Grundlage dieser Be-
standserhebung war es möglich, sowohl Einzel-
befunde als auch Entwicklungslinien zu erkennen
und zu bewerten. Auch wenn die großen Stadt-
brände im Stadtbild bis heute als Bruch erfahren
werden, stehen sie keineswegs für den Wandel
im Hausbau. Baulich ist Wandel immer dann greif-
bar, wenn er in Phasen einer wirtschaftlichen Kon-
solidierung durch soziale und wirtschaftliche Ent-
wicklungsprozesse begleitet wird. Ein Wandel in


Herdstelle auf der Diele auch nach Schornstein-Neubau am Beispiel Hören 9 von 1900, Auszug Bauakte 464


Herdstelle auf der Diele auch nach Schornstein-Neubau am Beispiel Maschenstraße 43 von 1892, Auszug
Bauakte 659

den Nutzungsstrukturen muss dabei nicht
zwangsweise von einem Wandel in den Bau-
strukturen begleitet werden und umgekehrt. Oft-
mals vollzieht sich der eine viel schleppender und
erschwert die Wahrnehmung der Zusammen-
hänge von Ursache und Wirkung. Der überkom-
mene Bestand ist für sich genommen nur bedingt
aussagekräftig, wenn es darum geht, den Haus-
bau nach Stilepochen und Entwicklungsstufen zu
beschreiben. Zu groß sind die Überformungen
und Neuinterpretationen der letzten Jahrzehnte.
Um die ausgewiesenen Bau- und Kunstdenkma-
le verstehen zu können, müssen alle Befunde,
auch die der verlorenen und nicht ausgewiesenen
Objekte, als Quelle genutzt werden.
Wie sehr das heutige Verständnis auf Zeitschnit-
te und Epochen fixiert ist, ohne die Entwicklungs-
linien und Überformungen als ebenso authentisch
wahrzunehmen, wird in der historischen Vorzei-
gestraße der Stadt, der Tiedexer Straße, deutlich.
Der fast lückenlos auf die Bauzeit nach dem Brand
von 1540 zurückgehende Hausbestand ist nur mit
Einschränkung als Zeugnis für die Baukultur der
Renaissance zu begreifen: die Gewölbekeller sind
teilweise um bis zu 50 Jahre, die Dachwerke gar
um ca. 200 Jahre jünger. Ausstattung und Raum-
struktur sind mehrfach erneuert oder verändert.
Die oft nachträglich in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts angefügten Stubenerker sind ver-
schwunden, ebenso die oftmals vorhandenen
Zwerchhäuser. Die vermeintliche Rückführung auf
den als ursprünglich verstandenen Bestand seit
dem Historismus im ausgehenden 19. Jahrhun-
dert hat mit den Spuren des Wandels auch das
Verständnis für die historischen Entwicklungslinien
erheblich erschwert. In dem oberhalb der Kel-
lerebene erst 1540 einsetzenden Bestand ist der
Wandel im Hausbau allein für die Zeit ab 1700
greifbar. Aussagen für die Zeit des späten Mittel-
alters und der frühen Neuzeit sind allein aufgrund
der Ergebnisse der Stadtarchäologie aus den letz-
ten 25 Jahren möglich. Sie sprechen wie im ge-
samten mitteleuropäischen Raum für ein hohes
Maß an Kontinuität zwischen dem 14./15. und
16./17. Jahrhundert.
Beispielhaft kann hierfür das lange Festhalten an
der funktionalen und räumlichen Einheit von
Küche und Diele angeführt werden. Aus den
Bestandsplänen der um 1880 einsetzenden
Bauakten geht hervor, dass sich entgegen der
allgemeinen Entwicklung durchaus Strukturen
bis in das 20. Jahrhundert erhalten konnten, die
in den großen Brauhäusern schon im 16. Jahr-
hundert nicht mehr angetroffen wurden. Die
häusliche Herdstelle auf der offenen Hausdiele
im Erdgeschoss lässt sich in den Einbecker Bau-
akten für 17 Häuser bis um 1900 nachweisen.
Beispielhaft seien hier Hägerstraße 21 bis 1895,
Hägerstraße 27 bis 1907, Maschenstraße 25 bis

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