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Kellmann, Thomas
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,3): Stadt Einbeck — Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.65609#0338
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Von besonderer Bedeutung ist eine aus dem spä-
ten 16. Jahrhundert erhaltene Stuckdecke unter
der Balkendecke einer nur 17,5 qm großen Stu-
be im Obergeschoss an der Südostecke des Sei-
tenflügels. Die Raumhöhe ist für die stark plastisch
ausgeformte Decke sehr niedrig. Die Deckenfel-
der und die Unterseiten der Deckenbalken sind
jeweils innerhalb einer beschlagwerkartigen Rah-
mung arabeskenhaft mit einem stilisierten Dekor
aus Rollwerk in Verbindung mit Blüten, Früchten,
Rosetten, Vögeln, Diamantquadern, Masken und
Voluten überzogen, teilweise annähernd vollplas-
tisch. Beim Rollwerk handelt es sich um ver-
schlungene, teilweise aufgerollte Bandformen, wie
sie um 1600 modern waren. Im Zentrum der
Decke ist die bekrönte Einbecker Stadtmarke
angeordnet. Bereits für 1924 ist eine Sanierung
der zu diesem Zeitpunkt bereits farbig gefassten
Stuckdecke erfolgt. Durch mehrfache Überma-
lung und die heutige, farbliche Akzentuierung, die
auf einen erhaltenen Entwurf von Erich Hahn von
1952 zurückgeht, hat sich ihre plakative und
wuchtige Wirkung noch einmal verstärkt. Eine ver-
gleichbare Stuckdecke aus dem späten 16. Jahr-
hundert mit zapfenartig herabhängenden Frucht-
ständen findet sich im Obergeschoss der Super-
intendentur, Steingasse 8, im thüringischen
Schmalkalden. Stilistisch und zeitlich passend zur
Decke ist eine aufgedoppelte Renaissancetür
erhalten. Während die Außenseite völlig schlicht
verbohlt ist, zeigt die Innenseite eine auch bei Bür-
gerhäusern in wenigen Restexemplaren belegte
Dekorations- und Konstruktionsform. Raumseitig
ist die schmale Türöffnung prunkvoll gestaltet. Die
beiden Füllungen der Tür werden durch aufge-
legte, profilierte Leisten und Blendarchitekturen
mit einer räumlichen Tiefe belegt. Auch die auf-
wendige Türbekleidung der Renaissance ist erhal-

ten. Pilaster und Architrav mit Postamenten, Kon-
solen, Diamantquadern und vasenartigem Dekor
werten die Türöffnung wie eine Kulissenarchitek-
tur auf. Eine vergleichbar dekorative, wenn auch
aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammende
Innentür, hat sich bei Stiftsplatz 11 erhalten.
Kurzbeschreibung Kämmerei-Anbau
Der über annähernd quadratischer Grundfläche
errichtete, zweigeschossige und voll unterkellerte
Anbau im Winkel zwischen Seiten- und Hauptflü-
gel ist offensichtlich nachträglich gegen den
bereits bestehenden Haupt- und Seitenflügel
errichtet. Kellerfenster im Seitenflügel mit Orien-
tierung nach Westen bestätigen dies. Keller- und
Erdgeschoss sind mit einem Tonnengewölbe mit
Scheitellinie quer zur Firstlinie des Hauptflügels
ausgestattet. Eine Eckquaderung analog zu den
übrigen Bauteilen an der ehemaligen Südwest-
ecke zeugt sowohl von einem jüngeren Erweite-
rungsanbau an die benachbarte Ratswaage als
auch von der Aufstockung um ein Obergeschoss.
Während die Eckquaderung im Erdgeschoss
deutliche Bewitterungsspuren aufweist, heben
sich die jüngeren Erweiterungsan- und aufbauten
trotz einer historisierenden Angleichung deutlich
vom frühneuzeitlichen Kernbau ab. Nach außen
zum Rathaushof verweist die Befensterung mit
schlichten Sandsteingewänden, eisernen Außen-
klappläden und einer zusätzlichen, kleinen, qua-
dratischen Fensteröffnung mit einer verkröpften
Gesimsverdachung von dem bis in das 20. Jahr-
hundert als Archiv- und Kämmereigewölbe ge-
nutzten, feuersicheren Raum. Nach innen ist die
kleine, außen vergitterte Fensteröffnung kurz un-
terhalb des Scheitelpunktes zugesetzt und somit
heute nicht mehr erkennbar. Die Wandstärke nach


Rathaus von Nordosten, Knoche, 23.10.2007

Westen in Verlängerung des Westgiebels des
Hauptflügels ist mit 1,5 m ungewöhnlich stark,
was weder mit dem im Scheitelpunkt 3,7 m hohen
Gewölbe noch mit dem im Mauerwerk befind-
lichen Rauchzug schlüssig zu erklären ist. Ver-
mutlich wurde in jüngerer Zeit eine ca. 2,0 m hohe
Wandschale vorgeblendet, um Stellwände für
Schränke zu erhalten. Die tatsächliche Wandstär-
ke ist demnach deutlich geringer und der tat-
sächliche Gewölbeansatz deutlich tiefer. An der
Westseite des knapp 29 qm großen Raumes be-
findet sich das bereits von Mithoff (1873) erwähn-
te Kamingewände mit der Stadtmarke auf einem
Wappenschild im Zentrum des Kaminsturzes,
flankiert von der inschriftlichen Datierung „15 55“.
Hinweise auf eine sekundäre Verwendung könn-
te allein die ungewöhnliche Ecklage liefern. Auch
ein Versetzen innerhalb des Raumes ist nicht aus-
geschlossen. Die Verortung einer vermutlich vor-
handenen Rathausküche ist bislang nicht mög-
lich. Heute wird der Raum als Trauzimmer vom
Standesamt genutzt, nachdem es über lange Zeit
als Büro des Bürgermeisters eine gleichfalls reprä-
sentative Funktion erfüllte. Erschlossen wird das
Gewölbe aus der Rathaushalle mit einem früh-
neuzeitlichen Türgewände. Die beiden Türdurch-
brüche nach Westen und Osten erfolgten nach-
träglich in jüngerer Zeit.
Zur Baugeschichte des Alten Rathauses
Das Rathaus im Mittelalter
Obschon der Rat der Stadt bereits 1252 urkund-
lich erwähnt wurde und als Inhaber der hohen und
niederen Gerichtsbarkeit seit dieser Zeit auch
regelmäßig bei der Beurkundung von Rechtsge-
schäften in Erscheinung trat, muss dies keines-
wegs zwingend mit der baulichen Anlage eines
Rathauses einhergehen. Erst mit der Verleihung
der Stadtrechte nach dem Vorbild der Braun-
schweiger Neustadt 1279 erlangte die Stadt ein
hohes Maß an Autonomie. Mit der Kontrolle des
Marktes mit seinen Maßen, Gewichten und Qua-
litätsstandards, mit der Finanz- und Steuerver-
waltung, der Aufsicht über das Zoll- und Brauwe-
sen, der Organisation der Verteidigung und der
Vertretung nach außen wurde eine entsprechen-
de bauliche Anlage in Form eines Rathauses
immer notwendiger. Erstmals urkundlich erwähnt
wurde ein Rathaus erst 1334 (Feise, 1959, Urkun-
de 168 vom 7.1.1334, S. 40). Das erhaltene
Renaissance-Rathaus mit dem noch mittelalter-
lichen Kernbau wird in seiner heutigen Form ganz
wesentlich von einer historistischen Umbaupha-
se und Überformung des späten 19. Jahrhunderts
geprägt. Beim Wiederaufbau nach dem verhee-
renden Stadtbrand von 1540 wurden jedoch
wesentliche Teile der massiven Vorgängerbebau-

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