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Kellmann, Thomas
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,3): Stadt Einbeck — Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.65609#0503
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gebiet an der Hullerser Landstraße angesiedelten
Firma „Kayser Automotive System“ zwischen Wai-
sengasse und Sonnenhaken nach Westen, der
Altendorfer Straße nach Norden und dem Müh-
lenkanal nach Süden und Osten (vgl. Baustraße
38) liegt das Betriebsgebäude der Niederen Müh-
le, der wichtigsten und größten der drei städti-
schen Mahlmühlen aus dem frühen 15. Jahrhun-
dert. Der dreigeschossige, verputzte Massivbau
mit einem Walmdach, mit Putzfaschen an den
Fensteröffnungen und mit einer Gliederung durch
kräftige Lisenen mit Putzquaderung erhebt sich
über einem hohen in Bruchstein- und Quader-
mauerwerk errichteten Unterbau entlang des
Mühlengrabens. An der ehemaligen Gebäudeecke
auf Höhe des Wehrs befindet sich an der Schmal-
seite nach Südwesten ein Wappenstein in Sand-
stein mit der inschriftlichen Datierung in den äuße-
ren Ecken des Quaders: „15“ „56“ (oben) und „19“
„14“ (unten), die vermutlich auf zwei eingreifende
Umbauphasen des im Kern älteren Mauerwerks
verweisen. Das sich unmittelbar anschließende
ehemalige Vorgerinne ist mit einem dreigeschos-
sigen Turbinenhaus überbaut. Die Fallhöhe mit
knapp 2,0 m ermöglichte den Betrieb von unter-
schlägigen Wasserrädern, deren einstige Lage
aufgrund zugesetzter Öffnungen im Naturstein-
mauerwerk lokalisierbar ist. Das über einer leicht
L-förmigen Grundfläche errichtete Betriebsge-
bäude mit dem unmittelbar nördlich benachbar-
ten jüngeren Wohnhaus verkörpert einen um 1925
gängigen Typus der Industriemühle. Das ehema-
lige Wohnhaus des Mühlenbesitzers Louis Miehe
entstand am nördlichen Rand des weitläufigen
Mühlengrundstücks an der Altendorfer Straße
(siehe dort unter Altendorfer Straße 54).
Baugeschichte: Die Mühle dürfte im Kern im frü-
hen 15. Jahrhundert zusammen mit dem Bau des
Mühlengrabens entstanden sein. Bei der 1407
erstmals erwähnten Mühle zwischen dem Alten-
dorfer Tor und dem damals erst neu angelegten
Gerberhof der Schuhmachergilde handelt es sich
vermutlich um die Niedere Mühle. Gesichert wird
sie in einer Urkunde von 1424 als „nedderen
molen bynnen der nygen muren“ erwähnt, d.h.
zumindest der Mühlgraben und vermutlich auch
die äußere Wallanlage haben 1424 bereits exis-
tiert oder befanden sich im Bau. Die Wohnung des
Müllers befand sich, wie bis in das 18. Jahrhun-
dert üblich, unter einem Dach mit den bis zu sechs
Mahlgängen. Die ältesten erhaltenen Fotografien
aus der Zeit um 1900 vor Einbau der Turbine und
das Planmaterial der Mühle von April/Mai 1888
zeigen einen zweigeschossigen Wohnteil in Fach-
werk am nordöstlichen Ende mit einem kurzen
Wirtschaftsteil in Geschossständerbauweise und
langen, geschossübergreifenden Streben, mögli-
cherweise aus dem 16. Jahrhundert. In First- und


Niedere Mühle vom Wall von Südosten, Kellmann, 11.04.2015

Traufverlängerung nach Südwesten schloss sich
unter einem gemeinsamen, mit Sandstein einge-
deckten, mächtigen Dachwerk mit drei Dachbö-
den der Betriebsteil an. Der in Bruchstein gemau-
erte Unterbau war zwischen den beiden Bautei-
len mit einer deutlichen Baufuge versehen. Über
dem um ein Geschoss nach oben verspringen-
den Unterbau im deutlich größeren Betriebsteil der
Mühle wurde das Fachwerkobergeschoss um
oder kurz nach 1888 in Ziegelmauerwerk mit gro-
ßen Fensteröffnungen erneuert. Hinweise auf älte-
re bauliche Eingriffe geben die Kämmereirech-
nungen des 18. Jahrhunderts. Nach einem Hoch-
wasserschaden 1758/59 mussten bei der Niede-
ren Mühle für 176 Taler das „Fluthwerck“ und
„Mühlenbett“ erneuert werden, „weil der, vom gro-
ßen Wasser durchbrochene Damm so viel an
Reparationes gekostet“. Die Arbeiten mussten
1760/61 fortgesetzt werden, um für zusätzliche
995 Taler die Mühlenflut, das Mühlenbett und den

Mühlenkolk von Juli bis Dezember 1760 „von
Grund auf neu zu bauen“. Das Hochwasser hat-
te den Unterlauf nach dem Stauwehr, den soge-
nannten Mühlenkolk, stark ausgespült. Für
1766/67 verzeichnete die Kämmereirechnung die
Rückerstattung von Teilen der Pacht an den Mül-
ler der Niederen Mühle aufgrund von Ausfällen,
die dadurch entstanden waren, dass wegen der
Holzflößerei die Mühle „stille halten“ musste.
Die Niedere Mühle wurde 1801 vom letzten Päch-
ter, dem Müller Johann Conrad Busch, meistbie-
tend auf Erbzinspacht ersteigert. 1887 verkauften
die Nachfolger die Mühle mit den Erbzinsrechten
der Stadt an den Müller Ludwig Miehe aus Wis-
penstein bei Alfeld. Zwischen 1902 und 1905
erfolgte der Einbau einer Turbine. Zu diesem Zeit-
punkt wurden noch zwei mächtige Mühlräder
betrieben, wobei das obere mit einer hölzernen
Einhausung versehen war. Nach einem verhee-
renden Brand im Jahr 1914 wurde „auf den zum

Datierungsstein
„1556T1914“ mit der
Stadtmarke im Zentrum,
Lucka/Kern, 1991


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