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Kellmann, Thomas
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,3): Stadt Einbeck — Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.65609#0538
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werden. Eine weitgehend entsprechende neugo-
tische Konstruktion hatte der Kölner Stadtbau-
meister Julius Carl Raschdorff 1855-57 für den
historistischen Neubau des Festsaales im spät-
gotischen, 1441-47 erbauten Kölner Tanzhaus,
dem Gürzenich, gewählt. Stier hatte mit dieser bei
Bahnsteigverdachungen und Empfangsgebäu-
den genutzten Konstruktionsform frühzeitig Erfah-
rungen sammeln können. Auch beim seinerzeit
größten Festsaal in Mitteleuropa, dem 1871-73
in Berlin-Charlottenburg errichteten Vergnü-
gungspalast „Flora“, bei dessen Bau Stier als
Architekt mitwirkte, findet sich eine vergleichbare
Dachkonstruktion. Leider ist die in Entwurfsplä-
nen überlieferte historische Farbgebung nicht
erhalten bzw. überfasst. Zwischen den vier jeweils
paarweise angeordneten Quergebinden der
Sprengwerke befanden sich in illusionistisch ange-
legten Wandnischen großformatige Standfiguren
wie die im Entwurf überlieferte „Justitia“ mit
Schwert, Waage und verbundenen Augen. Das

große, bunt verglaste Maßwerkfenster nach
Süden über der Bühne war demnach in ein umlau-
fendes Bildprogramm eingebunden und keines-
wegs isoliert. Die Maße der spitzbogigen Wand-
felder mit den Standfiguren setzen sich in der
Buntverglasung in dichter Reihung fort. Von links
nach rechts werden die Personifikationen der
„Mathematik“, der „Kunst“, der „Elektrizität“ sowie
der modernen Sprachen, „Das Deutsche“, „Das
Französische“ und „Das Englische“, dargestellt.
In der Mitte steht die „Wahrheit“ über dem Brun-
nen der Weisheit, alle anderen in der Höhe deut-
lich überragend.
Baugeschichte: Bauherr der Schule war die Stadt
Einbeck. Die Architektenwahl fiel auf den renom-
mierten, seit 1880 in Hannover an der Techni-
schen Hochschule lehrenden Hubert Stier (1838-
1907), Sohn des ebenfalls bekannten Berliner
Architekten Wilhelm Stier (1799-1856). Stier
arbeitete seit 1876 für die staatliche Eisenbahndi-
rektion in Hannover. Zu seinen bekanntesten

Bahnhofsempfangsgebäuden zählen neben dem
Neubau für den Hauptbahnhof in Hannover ent-
sprechende Bauten für Uelzen, Bremen, Harburg,
Hildesheim und nicht zuletzt für Kreiensen. Das
Provinzialmuseum in Hannover, das heutige Lan-
desmuseum, gehört bereits zu seinem Spätwerk.
Als Architekt des Historismus war Stier auch mit
der Restaurierung von mittelalterlichen Kirchen
betraut, dem Limburger Dom, der Liebfrauenkir-
che in Arnstadt und der Nikolaikirche in Eisennach.
In Bezug auf Schulgebäude konnte er den 1886-
88 errichteten Neubau für das Ratsgymnasium in
Goslar in neuromanischen Formen vorweisen (vgl.
Nachruf für Hubert Stier von Karl Mohrmann im
Zentralblatt der Bauverwaltung, 27(1907), Heft 54,
S. 357). Auch hier wurde bereits ein langge-
streckter Mittelbau von architektonisch stark
betonten, turmartigen Querflügeln gerahmt. Eine
perspektivische Entwurfsansicht von Oktober
1905 für Einbeck sicherte ihm vermutlich den Auf-
trag. Der Bau knüpfte baulich keineswegs an die


Lageplan mit geplanter Erweiterung in Rot nach Norden, Blatt 1, Hubert Stier, 10.01.1906, StAE

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