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Haymon un

ohne jene Verwirrung, welche man schon oft an solchen bemerkt
hat, die eben der Todesgefahr entronnen:

„Ein guter Kämpe für ein einsames Fräulein, dieser Leu,
welcher mich, wie Ihr gewahrt haben werdet, jählings aus dem
Sattel warf. Das mag meiner ritterlichen Tugend geschadet
haben in Euern Augen."

„Was heute geschieht, ist morgenvergeffen" — antwortete das
Mädchen. „WollteGott, ich könnte denStaub des Abendlan-
des von den Füßen schütteln und all sein Gedächtniß aus dem
Haupte. Das hat mir auch meinen Bruder genommen,' der liegt
hier unter diesemHügcl." Dabei betrachtete sie wieder das neue
Grab und die Rosenschößlingc, die sie an dasselbe gesetzt und
weinte. Auch Herr Haymon schwieg und schien an ihrer Trauer
mitzutragen, bis er nach einer Weile sagte:

„Eure Geschichte muß wunderbar sein, ekles Fräulein! Auch
scheint Ihr von ferne herzukommen."

„Aus dem Morgenlande" — lispelte sie.

„Vom heiligen Grabe?" fragte er.

„Ich bin eine Sarazenin" — sagte sic.

„Sv sei Euch Gott gnädig in diesem unwirschen Lande,
so weit nicht meine Hand Euch schützen kann."

„Auch dafür werk ich Euch kaum viel Dank schuldig wer-
den" — sprach das Mädchen und senkte nachdenkend das Haupt.

„Vielleicht, daß ich Euch doch eines Tages diese Stunde
vergelten kann! Aber wenn es Eure werthe Trauer zuläßt, so
erzählt mir Euer Schicksal."

„Was kann das Euch bedeuten? Ihr seid ein glücklicher
Jüngling und mich hat der Jammer seit vielen Monden nicht
mehr verlassen."

„Und könnt ihr denn nicht glauben, daß Eure Leiden auch
meiner Seele weh thuu?"

„Freilich seid Ihr der erste Mensch, den ich außer meinem
Bruder seit manchem Tage gesehen und dcßwcgen wohl einer
Ehre Werth!"

Während das Mädchen diese Worte flüsterte, lehnte sie sich
auf den Löwen, der sich neben ihr niedergelassen hatte und in
einem sanften Schlummer lag. Der Ritter setzte sich, nachdem
er sein Roß an die Eiche gebunden, nicht ferne davon in's Gras.

„MeinVater," hob die Sarazenin an, „lebte zu Antiochien,
einer der Fürsten der Stadt. Drei Brüder hatte ich auch, alle
bieder und wohlgemuth, alle unablässig im Waidwerkc. Den
Löwen fingen sie einst in den Schluchten des Libanons, zähm-
ten ihn und veredelten seine Natur, so daß er keiner niedern
Handlung fähig ist und arabisch versteht, obwohl er es nicht
sprechen kann. Auch viele andere Thierc und edle Vögel brach-
ten sie einst in den Zwinger unsres Hauses, der am Meere
liegt und lehrten sie Gehorsam und verschiedene Künste. Miri,
wo bist du?"

Aus diese Ladung schlüpfte der Persische Edelfalke schwirrend
durch eine Falte des Zeltes und setzte sich neben das Mädchen
auf den Rücken des Löwen.

Der Ritter war sehr erstaunt und schien dem Fortgang der
Geschichte mit Spannung entgegen zu sehen.

„Als nun die Abendländer kamen und unsere theure Stadt

d Haura. IS

erstürnltcn, fielen in einer blutigen Nacht mein Vater und die
älteren beiden meiner Brüder. Mich rettete der jüngste an das
Meer, wo wir mit unserm Hausvogt ein gutes Schiff bestiegen.
Auch die Thiere, die gezähmten, wollte mein Bruder nicht den
Händen der Ungläubigen lassen und brachte sie auf dasselbe
Fahrzeug. Ohne zu wissen wohin, segelten wir wie Wind und
Wetter uns die Fahrt anwiesen und kamen nach Sicilie». All-
da nahm uns der Graf des Eilands mit angenehmer Sitte
auf und verlangte von uns zu bleiben. Da nun von dem
Golde, welches unser Vater in Antiochien zusammengctragen,
wenig gerettet worden, so gedachte mein Bruder sich in anderer
Art Gunst und Erwerb zu schaffen und demnach brachte er vor
di-Augen der sicilischenFürsten jene Zaubereien und Kunststücke,
die er einst in Aegypten gelernt und wurde herrlich beschenkt.
Auch von den Thieren gab er ihnen manche gegen reichliches
Entgelt und selbst seine Schwester brachte Schätze zu den seini-
gcn, denn ich besitze die Gabe der Weissagung."

Der Ritter war abermals sehr erstaunt über diese Reden
und fragte das Fräulein, ob sic ihm nicht seine Zukunft Vor-
hersagen wolle, was sie aber ablehnte. s

„Und warum wollt Ihr nicht?" sagte Herr Haymon —
„ich feiet’ Euch dreißig Byzantiner.

„Es scheint Euch viel daran gelegen?"

„O ja, aus Eurem Munde mein Schicksal zu hören," ent-
gegnete der Jüngling lächelnd, „das wünsch' ich von ganzem
Herzen."

„So behaltet Eure Byzantiner und weist dafür die Hand her."

Der Ritter folgte diesen Worten,' die Sarazenin ergriff mit
zwei Fingern seinen Mittlern und zog seine Hand unter ihre
Augen. In dieser Art hielt sie derselbe fest und blickte unver-
wandt hinein, so daß dem Ritter ein magisches Zittern durch
die ganze Gestalt lief. Er betrachtete emsig das Fräulein wld
gewahrte, wie sich ihr Auge verdüsterte, ihr Gesicht so ängstlich
wurde, wie sie seufzte und selbst zu beben begann.

„Hier steht ein Ritter vor dem Hochgerichte," sagte sie endlich.

„Ihr dürft nicht scherzen!" cntgcgnete Herr Haymon.

„Vor dem Hochgerichte," fuhr sie fort, „und das seid Ihr
— da sitzt der König von England —"

„Mein Lehensherr" — sagte der Ritter.

„Dort steht der Ankläger, ein Mann mit weißem Barte,
ein alter Mann,' o Himmel! er grüßt mick mit der Hand."

„Was bedeutet das?" fragte Herr Haymon.

„Ich kenn'ihn," fuhr das Mädchen fort—„aber der Ritter
wird zum Tode abgcführt —"

„In Gottes Namen," sagte Herr Haymon und bekreuzte sich.

„Da kommt ein Mädchen, ein verschleiertes Mädchen, das
stürzt vor den König hin—das ist — das ist — Nein! —
unmöglich! —"

(Fortsetzung folgt)

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