Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
118


Der Ladenbohrer.

(Schluß).

„Stelle dich dort in den Schatten hinter den Lehnsessel, j „Nun, wer war denn bei dir, Mädchen?" forschte der Alte

Heinrich," rief Doris ängstlich ihrem Geliebten zu, als sie des
Vaters Schritte hörte. Das war kaum geschehen, so trat der
alte Herr athemlos ein. „Er ist entwischt, Mädchen," sagte er
ärgerlich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf
sich dann in den Lehnseffel. „Das war eine Jagd," fuhr er
fort, „daran werd' ich Zeit meines Lebens denken. Konnte der
infame Hallunkc von Spitzbuben laufen! Sätze machte er wie
ein gehetzter Kater und wir ebenso hinterdrein durch die Pech-
rabensinstcrniß. Lützow's wilde Jagd ist ein wahres Kinder-
spiel dagegen, so gewiß, wie ich hier sitze."

Ein leises Glucksen wie von mühsam unterdrücktem Lachen
tönte hinter den Lchnscsicl hervor und würbe sicherlich den
Schlupfwinkel des versteckten Candidatcn vor der Zeit verrathen
haben, wenn nicht Doris in diesem Augenblicke sich ihrem Vater
halb lachend, halb weinend (Gott weiß, welches von Beiden
aufrichtig gemeint war) um den Hals geworfen und seine
Wangen mit so zärtlicher Hand, wie sie es seit Monden nicht
gewagt hatte, gestreichelt hätte. „Ach! Vater, was Hab ich
mich geängstigt um dich," lispelte sie ihm liebkosend ins Ohr,
„und was dank' ich Gott, daß du von diesem schrecklichen
Unternehmen (hier hinderte ein Ausbruch fröhlichen Gelächters
ihre Stimme) mit heiler Haut zurückgekehrt bist," und ein neuer
Ausbruch von kindlicher Zärtlichkeit ließ den Vater alle den
langentbchrten süßen Genuß ihrer kindlichen Liebe schmecken.
Anfangs wehrte er sie zwar sanft von sich ab, wenigstens
sträubte er sich : aber was ist der eigensinnigste und hartnäckigste
Vater unter den Liebkosungen seines einzigen blühenden und
gutartigen Kindes, besonders wenn dieses ein Mädchen ist!
Nach und nach sänftigte sich der rauhe Blick seines Auges; er
knipp ihr in die Wangeu und zog sie fest an sich, herzte sie
und sagte: „Na, Mädchen! so gefällst du mir wieder; ein
freundliches lachendes Auge ist noch einmal so gut, als ein
trotzendes, weinerliches. Nicht wahr, Dorchen, nun läßt du
das Kopfhängen um den albernen . . . Potz tausend, da fällt
mir ja ein," unterbrach er sich hier selbst, „ich habe die Feuer-
zange im Zimmer des Bürgermeisters auf dem Rathhause ge-
lassen. Vergiß es nicht Mädchen, sie gleich Morgen in aller
Frühe holen zu laffen. Hörst du, vergiß es nicht."

„Sei unbesorgt, lieb Väterchen," cntgegnetc Doris laut
lachend, „gleich in aller Frühe will ich danach senden. Aber,"
hier streichelte sie ihm wieder zärtlich die Wange, „willst du
denn auch wieder mein gutes Väterchen fein?"

„Ach, kleine Schwätzerin, süße Schelmin," rief der vergnügte
Alte, „wie du nur so fragen kannst? Bin ich's denn nicht
immer gewesen? Komm, kleines Ding," er zog sie auf den
«chooß und drückte sie herzlich an seine Brust, „komm und sei
wieder wie sonst mein altes, gutes Mädchen, mein Augapfel,
meine Herzxnspuppe. Du hast dich wohl recht geängstigt, armes
Würmchen, da du so allein warst?"

„Ich war nicht allein, lieber Vater," flüsterte Doris kaum !
hörbar.

stutzig.

„DcrPastorVclthusen, lieber Vater," flüsterte Doris weiter.

„Pastor Velthusen .. . . welcher Pastor Belthuscn?" forschte
der alte Herr mit Inquisitor-Antlitz weiter, indem er die Tochter
vom Schooße schob und sich stracks im Stuhle anfrichtete.

„Nun, Heinrich Velthusen, der neulich, das heißt vor einigen
Monaten bei dir war," entgegncte Doris ängstlich.

„Und was wollte er denn in des Henkers Namen hier und
so spät am Abend?" rief der alte Herr ingrimmig aus.

„Er wollte dich sprecheti, Vater, und will dich noch sprechen.
Sieh dich doch nur um, er ist ja noch hier."

Mit einem Satze war Herr Gicsecke auf den Füßen und
sah sich um, und wahrhaftig, da stand er, es war kein Zwei-
fel, der Liebhaber seiner Tochter, hinter dem Lehnseffel im
Schatten.

„Herrrrr! ich gratulire bestens, wenn's so ist, wie meine
Tochter sagt," rief ihm der Alte ironisch zu, „aber was wollen
Sie bei mir, ein zweiter Nicodemus in später Mitternacht?"

Heinrich trat ohne Furcht, aber voll Ehrerbietung vor ihn
ins Licht und sagte mit herzlich bewegter Stimme: „Ich wollte
noch einmal zu Ihrem Herzen reden, Herr, und glaubte, Sie
jetzt allein und ungestört zu finden. Ich bin jetzt nicht mehr
der arme Candidat; meine Hoffnungen haben sich rasch ver-
wirklicht. Uebcrzeugen Sie sich gefälligst selbst." Er hielt dem
Alten das Schreiben hin und der Alte wischte die Brille aus
und begann laut für sich zu lesen: „Wir eröffnen Ihnen hier-
durch, daß der Landrath von Münchhausen als Kirchenpatron

Sie zu der Pfarrstclle in Mit — tel — stedt.Mittel-

stedt — im Landrathsbezirke Merseburg." Hier unter-

brach er sich einen Augenblick und fuhr mit der Hand über die
Stirn, las dann mit großer Anstrengung schweigend zu Ende,
ging dann heftig und mit großen Schritten im Zimmer auf
und ab, das geöffnete Schreiben in der Hand haltend und hin
und wieder den Namen „Mittelstedt" und dieWorte: „Das ist
Gottes Schickung" vor sich hinsprcchend. Endlich stellte er sich
'vor den jungen Mann und sagte mit bewegter Stimme: „Herr
Pastor, wiffen Sie, daß Mittelstedt mein Geburtsdorf ist?
wiffen Sie, daß ich dort noch Brüder und Schwester habe
und viele andere Verwandte, lauter ehrliche und wohlhabende
Bauersleute? Wiffen Sie, daß auf dem Kirchhof zu Mittelstedt
meine Eltern ruhe», meine lieben und braven Eltern? (Hier
wischte er sich die Thräne der Rührung ab.) Wissen Sie end-
lich, daß Mittelstedt eine der besten Pfarren in der ganzen
Provinz ist und in guten Jahren ihre achtzehn, sage achtzehn-
hundert Thaler abwirst? vier Hufen des besten Waizeubodens;
fünf und zwanzig Morgen dreischärigcr Wiesen! Wiffen Sie
das Alles schon?"

„Nein, ich Hab' cs nicht gewußt," antwortete der junge
Mann, „aber nun ich weiß, daß ich dort nahe Verwandte von j
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen