Die Pietist,
{ zu trockne», die deS Predigers freudig erhebende, tröstende und
mild versöhnende Worte den Augen zahlreich entlocklcn.
Auch der ernste Magistrats-Direktor Görcckc fuhr sich
I mit der Hand unwillkührlich über die buschigen Augenbrauen
! und richtete seinen Blick aus den ihm zur Rechten sitzenden
; Staotrichter Sandlcben, wie fragend, ob der Prediger auch
ihm gefalle, und dieser nickte als Antwort, daß er die stumme
, Anfrage des Consul regens verstand, beifällig mit dem
I Stopfe, während der zur Linken des MagistratSdircktorS sitzende
Senator Löbeke still vor sich hinmurmeltc: „Hei hat in Halle
, fine Studien gemacht, dct iS mich fatal."
Die Predigt war zu Ende und fromm erbaut verließen
j die Zuhörer die Kirche, sich nach allen Thcilcn der Stadt zer-
j streuend und an de» Straßenecken in heimlichem Gestufter oder
eifriger Disputation stehen bleibend, während die drei Ma-
' gistratSpcrfonen im ernsten Nachdenken versunken, schweigend
' neben einander herginge» und Löbeke beim Scheiden den Freun-
den mit den Worten die Hand drückte: „Wenn hei man nicht
i ut Halle wäre!"
Und so wie Löbeke, so dachte der größte Theil der han-
! növcr'schcn Bürgerschaft, obgleich alle einstimmig anerkenne»
mußten, daß so lieb und wcrth ihnen auch der nun selige
Pastor Hcincmann gewesen war, die Gastpredigt Flügge'» einen
weit lebendigeren und tieferen Eindruck in den Gcmüthcrn
seiner Zuhörer zurückgclaffcn hatte, als alle früheren Kanzel-
vvrträge des Verstorbenen, denn des Hallischen Kandidaten
einfach klarer Vortrag war Allen weit verständlicher gewesen
als deS verstorbenen Pastors Bilder und Gleichniffe. Aber
: Flügge war auS Halle, d. h. er hatte in Halle sei» examen
rigorosum bestanden und einige Zeit in den mit dem Hallischen
, Waisenhause verbundenen Anstalten der Milde alS Lehrer
fungirt; da« war den Hannoveranern ein Stein des Anstoßes
und nicht ohne Bcsorgniß seufzte daher so mancher brave
Bürger der Haupt- und Residenzstadt still für sich, gleich Lö-
bcke: „Wenn hei man nicht ut Halle wäre!"
Und warum?
Dieß will ich denjenigen Lesern, welche mit den hier und
da obwaltenden Verhältnissen im kirchlichen Leben der damali-
gen Zeit weniger bekannt sein- sollten, in Kürze mitthcilcn.
Wohl steht wahr bezeichnend über einem der Hauplein -
gängc deS von dem berühmten Professor der Theologie August
Hermann Franke zu Halle gestifteten Waisenhauses und der
vielen damit verbundenen WohlthätigkeilSanstaltcn, die Inschrift:
Fremdling, was Du erblickst, hat Glaube und Liebe
vollendet,
Ehre deS Stiftenden Geist, glaubend und liebend wie
denn das gläubige Vertrauen des wackern Begründers, fein
Streben, durch Anregung der Milde Gutes zu stiften, ließ ihn
Großes vollenden, und seine Frömmigkeit war kein prunken-
des Schautragen; aber seine strenge DcnkungSwcise gegen welt-
liche Vergnügungen gab gar bald zu den seltsamsten Ge-
rüchten Veranlassung, und da eS unter seinen zahlreichen
Schülern sehr Viele gab, welche der Vorwurf scheinheiliger
Frömmelei nicht mit Unrecht traf, so verbreitete sich durch
diese sowohl, als auch durch die von Franke selbst eingefihr-
tcn und von seinen Schülern bis zur Nebcrtrcibung verviel-
fältigten Andachtsübungen gar bald durch ganz Rorddeulsch-
land die Ansicht, daß alle aus Halle und den Frankc'schcn
Anstalten hervorgehenden Theologen einer besonder» Pictistcnsccle
angchörten, welche schon deshalb allgemein gehaßt und ge-
fürchtet wurden, weil der finstere Eifer jener Hallc'fchen Theo-
logen gegen Alles, was da» Leben erheiterte oder erfteutc, so I
weit ging, daß man eben von Halle auS sogar öffentlich dem
geistlichen Stande das Tabakrauchen als „gottloses Treiben"
untersagte und jeden Theologen, welcher Tabak rauche, als
argen Sünder betrachtete, „denn das bittre Kraut des Tabaks i
verunreinige den Mund eine« Priester«, dessen Lippen nur i
süße Worte de« Glaubens und der Liebe entströmen sollten."
Daher das Mißtrauen der Hannoveraner gegen den auS >
Halle und den Franke'schen Anstalten hcrvorgegangenen Theo-
logen Gotthclf Flügge, obgleich in dessen Gastprcdigt nicht !
daS Geringste zu finden gewesen war, was zu der Befürchtung :
hätte Veranlassung geben können, auch in ihm einen jener >
finsteren Eiferer gegen alle weltlichen Vergnügungen zu er-
halten, wie sic von Halle auS zum Schrecken aller Kirchengc-
meinden in die Welt gesendet wurden. — Um daher Gewiß-
heit darüber zu erhalten, woran man hinsichtlich dieses Punktes
mit Flügge sei, wendete sich der Stadtrath nebst mehreren der
achtbarsten und einflußreichsten Bürger an den Abt zu Loccum,
den zu damaliger Zeit eben so beliebten als berühmten Kanzel- :
rcdner Molanus und bat denselben um Rath, wie man cs
anzustcllen habe, um zu erfahren ob der Gastprediger, dessen
Vortrag so allgemein gefallen und dem man die vacantc Stelle
an der Marktkirche gar nicht mißgönne, ein Pietist sei, oder
„Ei, ei! Ihr Herren vom Rath und der Stadt," ent- !
gegnesc lächelnd der Abt von Loccum, „darauf ist schwer Be- :
scheid zu geben; auch seid Ihr wohl etwas zu ängstlich und
habt Euch eine blinde Furcht vor den sogenannten Hallc'fchen
Pietisten cinjagen lassen, indeß so weit ich nach Pflicht und
Gewissen in dieser kritischen Lage Euch durch meinen Rath
Beruhigung crtheilcn kann, will ich cS gern thun; darum
hört wohl auf."
Der Abt hielt hier einen Augenblick inne und mit ge-
spannter Erwartung harrten Rath und Bürgerschaft deS Wie-
derbeginns jcincr Rede. '
„Ihr werdet wohl auch gehört haben," fuhr nun Mo-
lanuS fort, nachdem er sich eine Pfeife gestopft und diese in
Brand gesetzt hatte, „daß die Hallc'fchen Theologen das Tabak-
rauche,, als eine'Sünde bettachten und schwere Sttafe denjeni-
gen ihrer Anhänger ttifft, welcher dieser sündigen Angewohn- j
heit ergeben ist; darum seht zu, ob Ihr den Gastpredigcr
unbemerkt beobachten könnt in dessen Zimmer und ob er dort ;
Tabak raucht oder nicht. Raucht er seine Pfeife, so wie ich"
— und dabei blies der Abt zu Loccum lächelnd der Deputa- !
tion eine gewaltige Rauchwolke entgegen — „dann könnt Ihr i
Beruhigung fassen, dann ist er kein Pietist, wie Ihr befürchtet; j
{ zu trockne», die deS Predigers freudig erhebende, tröstende und
mild versöhnende Worte den Augen zahlreich entlocklcn.
Auch der ernste Magistrats-Direktor Görcckc fuhr sich
I mit der Hand unwillkührlich über die buschigen Augenbrauen
! und richtete seinen Blick aus den ihm zur Rechten sitzenden
; Staotrichter Sandlcben, wie fragend, ob der Prediger auch
ihm gefalle, und dieser nickte als Antwort, daß er die stumme
, Anfrage des Consul regens verstand, beifällig mit dem
I Stopfe, während der zur Linken des MagistratSdircktorS sitzende
Senator Löbeke still vor sich hinmurmeltc: „Hei hat in Halle
, fine Studien gemacht, dct iS mich fatal."
Die Predigt war zu Ende und fromm erbaut verließen
j die Zuhörer die Kirche, sich nach allen Thcilcn der Stadt zer-
j streuend und an de» Straßenecken in heimlichem Gestufter oder
eifriger Disputation stehen bleibend, während die drei Ma-
' gistratSpcrfonen im ernsten Nachdenken versunken, schweigend
' neben einander herginge» und Löbeke beim Scheiden den Freun-
den mit den Worten die Hand drückte: „Wenn hei man nicht
i ut Halle wäre!"
Und so wie Löbeke, so dachte der größte Theil der han-
! növcr'schcn Bürgerschaft, obgleich alle einstimmig anerkenne»
mußten, daß so lieb und wcrth ihnen auch der nun selige
Pastor Hcincmann gewesen war, die Gastpredigt Flügge'» einen
weit lebendigeren und tieferen Eindruck in den Gcmüthcrn
seiner Zuhörer zurückgclaffcn hatte, als alle früheren Kanzel-
vvrträge des Verstorbenen, denn des Hallischen Kandidaten
einfach klarer Vortrag war Allen weit verständlicher gewesen
als deS verstorbenen Pastors Bilder und Gleichniffe. Aber
: Flügge war auS Halle, d. h. er hatte in Halle sei» examen
rigorosum bestanden und einige Zeit in den mit dem Hallischen
, Waisenhause verbundenen Anstalten der Milde alS Lehrer
fungirt; da« war den Hannoveranern ein Stein des Anstoßes
und nicht ohne Bcsorgniß seufzte daher so mancher brave
Bürger der Haupt- und Residenzstadt still für sich, gleich Lö-
bcke: „Wenn hei man nicht ut Halle wäre!"
Und warum?
Dieß will ich denjenigen Lesern, welche mit den hier und
da obwaltenden Verhältnissen im kirchlichen Leben der damali-
gen Zeit weniger bekannt sein- sollten, in Kürze mitthcilcn.
Wohl steht wahr bezeichnend über einem der Hauplein -
gängc deS von dem berühmten Professor der Theologie August
Hermann Franke zu Halle gestifteten Waisenhauses und der
vielen damit verbundenen WohlthätigkeilSanstaltcn, die Inschrift:
Fremdling, was Du erblickst, hat Glaube und Liebe
vollendet,
Ehre deS Stiftenden Geist, glaubend und liebend wie
denn das gläubige Vertrauen des wackern Begründers, fein
Streben, durch Anregung der Milde Gutes zu stiften, ließ ihn
Großes vollenden, und seine Frömmigkeit war kein prunken-
des Schautragen; aber seine strenge DcnkungSwcise gegen welt-
liche Vergnügungen gab gar bald zu den seltsamsten Ge-
rüchten Veranlassung, und da eS unter seinen zahlreichen
Schülern sehr Viele gab, welche der Vorwurf scheinheiliger
Frömmelei nicht mit Unrecht traf, so verbreitete sich durch
diese sowohl, als auch durch die von Franke selbst eingefihr-
tcn und von seinen Schülern bis zur Nebcrtrcibung verviel-
fältigten Andachtsübungen gar bald durch ganz Rorddeulsch-
land die Ansicht, daß alle aus Halle und den Frankc'schcn
Anstalten hervorgehenden Theologen einer besonder» Pictistcnsccle
angchörten, welche schon deshalb allgemein gehaßt und ge-
fürchtet wurden, weil der finstere Eifer jener Hallc'fchen Theo-
logen gegen Alles, was da» Leben erheiterte oder erfteutc, so I
weit ging, daß man eben von Halle auS sogar öffentlich dem
geistlichen Stande das Tabakrauchen als „gottloses Treiben"
untersagte und jeden Theologen, welcher Tabak rauche, als
argen Sünder betrachtete, „denn das bittre Kraut des Tabaks i
verunreinige den Mund eine« Priester«, dessen Lippen nur i
süße Worte de« Glaubens und der Liebe entströmen sollten."
Daher das Mißtrauen der Hannoveraner gegen den auS >
Halle und den Franke'schen Anstalten hcrvorgegangenen Theo-
logen Gotthclf Flügge, obgleich in dessen Gastprcdigt nicht !
daS Geringste zu finden gewesen war, was zu der Befürchtung :
hätte Veranlassung geben können, auch in ihm einen jener >
finsteren Eiferer gegen alle weltlichen Vergnügungen zu er-
halten, wie sic von Halle auS zum Schrecken aller Kirchengc-
meinden in die Welt gesendet wurden. — Um daher Gewiß-
heit darüber zu erhalten, woran man hinsichtlich dieses Punktes
mit Flügge sei, wendete sich der Stadtrath nebst mehreren der
achtbarsten und einflußreichsten Bürger an den Abt zu Loccum,
den zu damaliger Zeit eben so beliebten als berühmten Kanzel- :
rcdner Molanus und bat denselben um Rath, wie man cs
anzustcllen habe, um zu erfahren ob der Gastprediger, dessen
Vortrag so allgemein gefallen und dem man die vacantc Stelle
an der Marktkirche gar nicht mißgönne, ein Pietist sei, oder
„Ei, ei! Ihr Herren vom Rath und der Stadt," ent- !
gegnesc lächelnd der Abt von Loccum, „darauf ist schwer Be- :
scheid zu geben; auch seid Ihr wohl etwas zu ängstlich und
habt Euch eine blinde Furcht vor den sogenannten Hallc'fchen
Pietisten cinjagen lassen, indeß so weit ich nach Pflicht und
Gewissen in dieser kritischen Lage Euch durch meinen Rath
Beruhigung crtheilcn kann, will ich cS gern thun; darum
hört wohl auf."
Der Abt hielt hier einen Augenblick inne und mit ge-
spannter Erwartung harrten Rath und Bürgerschaft deS Wie-
derbeginns jcincr Rede. '
„Ihr werdet wohl auch gehört haben," fuhr nun Mo-
lanuS fort, nachdem er sich eine Pfeife gestopft und diese in
Brand gesetzt hatte, „daß die Hallc'fchen Theologen das Tabak-
rauche,, als eine'Sünde bettachten und schwere Sttafe denjeni-
gen ihrer Anhänger ttifft, welcher dieser sündigen Angewohn- j
heit ergeben ist; darum seht zu, ob Ihr den Gastpredigcr
unbemerkt beobachten könnt in dessen Zimmer und ob er dort ;
Tabak raucht oder nicht. Raucht er seine Pfeife, so wie ich"
— und dabei blies der Abt zu Loccum lächelnd der Deputa- !
tion eine gewaltige Rauchwolke entgegen — „dann könnt Ihr i
Beruhigung fassen, dann ist er kein Pietist, wie Ihr befürchtet; j