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Die Pietistcnprobe. (17

I raucht er aber nicht, dann — na, Kinder, dann müßt Ihr es
j wohlweislich überlegen, ob Ihr cS mit ihm wagen wollt oder

Dankend für den erthcilten Rath verließ die Deputation
! erleichterten Herzens den Abt zu Loccum und bald darauf
j wußte ganz Hannover die Unterredung mit MolanuS. Der
MagisiratSdirektor aber nebst dem Stadtrichter und dem Senator
j Löbcke hatten nichts Eiligeres zu thun, als sich zu dem Gast-
j wirth zu verfügen, bei welchem Flügge Quartier genommen,
! und diesen streng zu befragen, ob er nicht bemerkt habe, daß
> der Halle'schc Candidat Tabak rauche?

Der Gastwirth lachte bei dieser Frage laut aus und ent-
gcgnete dann kurzweg, daß eS der hohen Obrigkeit doch wohl
sehr gleichgültig sein könne, ob die in seinem Gasthof einkehren-
den Fremden Tabak rauchten oder nicht; älS aber die Väter
der Stadt ihm bemerklich machten, daß cs sich bei dieser Frage
mit um das Seelenheil vieler Tausende handle und er daher
die Sache nicht so gleichgülttg zu nehmen habe, da erklärte der
Gastwirth feierlichst, daß er den Halle'schcn Kandidaten zwar
noch nicht habe rauchen sehen, aber er glaube sicher und gewiß
eine Pfeife im Zimmer deS GastprcdigerS bemerkt zu haben,
und um sicher dahinter zu kommen, ob der Hallenser ein Pietist
sei oder nicht, schlug der Gastwirth vor, die hohe Obrigkeit
solle sich gegen Abend vor deS Candidalcn Zimmer auf die
Lauer stellen, und da dasselbe im Erdgeschoß sich befinde, so
würde man durch die weil ausgeschnittenen Fensterladen sehr
genau beobachten kennen, was der fremde Predigerda drinnen ttcibe.

Dieser Vorschlag wurde angenommen und als um die
neunte Abendstunde Nachtdunkrl die Straßen der Residenz be-
deckte, deren Beleuchtung damals sowohl bis noch vor wenigen
Jahrzehnten sich in jämmerlichem Zustande befand, da versammelte
sich nebst den Mitgliedern des Magistrats eine nicht unbedeu-
tende Menge Volks, Vornehme und Geringe, Alt und Zung,
Alles durch einander, vor der Wohnung deS Candidaten, durch
dessen Fensterladen Lichtschimmer drang und den Lauernden
verkündete, daß Flügge da drinnen anwesend sei.

Um nun den argloS in seinem Zimmer weilenden Can-
didaten durch daS vor dem Hause entstehende Geräusch, welches
die sich immer zahlreicher versammelnde Menschenmenge trotz
aller Vorsicht vcranlaßte, nicht aufmerksam zu machen und
denselben vielleicht gar zu verleiten, heraus auf die Straße zu
treten, um zu sehen waS daselbst vorgche, so ließ der Ma-
gistratsdirektor Wägen auS der Nachbarschaft hcrbciholen und
diese hin - und hcrsahren. Unter dem Schutze deS dadurch
entstehenden Gerassels errichtete die Versammlung so schnell als
möglich auS herbeigcschlepptcn Fässern, Brettern, Tischen und
Bänken eine Art Tribüne, welche die MagistratSpersoncn und
wer sonst noch daraus Platz finden konnte, erkletterten, um von
dieser Erhöhung herab bequem durch die ausgeschnittenen Fenster-
laden in deS Candidaten Zimmer zu schauen, der nicht die
entfernteste Ahnung von der Neugierde seiner künftige» Beicht-
kinder hatte und im stillen Sinnen sich all' den süßen Träumen
hingab, welche die Hoffnung auf einen günstigen Erfolg seiner
Gastpredigt in ihm erweckt hatte. Mit immer fteundlichercn

Bildern seine Zukunft schmückend, gedachte er voll Entzücken !
der seligen Ucberraschung einer sehnsüchtig harrenden geliebten
Braut und einer guten alten Mutter, wenn an diese daheim die !
Kunde gelangen würde, daß er Pastor an der Marktkirche zu
Hannover geworden sei.

Aber während drinnen im Zimmer den in seinem Znncr»
so glücklichen Candidaten ein neues schöneres Leben sich erschloß,
wuchs die Neugierde der vor seiner Wohnung Versammelten
von Sekunde zu Sekunde, und allen Respekt vor der hohen >
Obrigkeit bei Seite setzend, drängte die Volksmenge den an
den Fenstern lauschenden Bürgermeister und Stadtrichter hin- !
weg, um sich selbst zu überzeugen, ob der Gastprcdigcr ei» j
Pietist sei oder nicht. Da aber daS Zimmer nur zwei Fenster |
hatte und an jedem derselben höchstens drei Personen Platz j
fanden, so glückte cS nur selten einem der Lauscher unter dem \
Gedränge der Menge einen sichern Blick in daS Innere der !
Wohnung zu richten. Plötzlich aber war der Senator Löbcke
des Candidaten ansichtig geworden, welcher Letztere aufmerksam |
gemacht durch den bis zum Tumult sich steigernden Lärm vor !
dem Hause, jetzt nach den belagerten Fenstern den Blick wen- !
dctc und dabei die Tabakspfeife auS dem Mund nahm, aus
welcher er bisher in stilles Sinnen versunken, geraucht uno
träumerisch die Wölkchen betrachtet hatte, die auS dem offnen
Kopfe derselben cmporwirbeltcn, oder in langen Zügen den j
Lippen entströmten.

,Hci rocht! hei rocht! hei iS kecn Pictistc!'
schrie jetzt der Senator Löbcke und klammerte sich noch fester
an den Laden, von welchem er verdrängt zu werden Gefahr
lief, denn unter lautem Jubclschrci: „Hei rocht!" stürmte nun
Alles gegen die Fenster; die Haspen der Läden aber konnten
die an dieselbe sich hängende und klammernde Menge nicht
länger tragen, eben so wenig das nur leicht und stüchtig er-
richtete Gerüste, und che noch die übrigen Versammelten sich
von der Wahrheit der Löbckc'schcn Entdeckung überzeugt hatten,
stürzten Fensterläden und Gerüste prasselnd zusammen und be-
gruben unter Verwünschungen und Jubelgeschrci die hohe Obrig-
keit unter der zum Knäuel zusammcngcrollten Menschcnmaffe,
aus welcher der MagistrakSdirektor nebst Stadttichter und Se-
nator sich eilig emporraffte und mit fteudigcm Staunen in
das von den Fensterläden nicht mehr bedeckte hcllerlcuchtctc
Zimmer des Kandidaten blickten, dem vor Schreck über das
mit so fürchterlichem Spektakel sich ihm darbietendc eben so
seltsame als unerwartete Schauspiel, die. Pfeife auSgegangcn
war und dessen Munde nun die letzte Rauchwolke entschwebte.

Mit lautem Zubelgcschrci arbeitete sich nun die Menge
unter Tischen, Bänken, Fässern und Brettern empor und trotz
der Quetschungen und Stöße, die der Bürgermeister so gut
wie der Karrcnschieber bei dem Durchbruch der Tribüne erhalten,
trug das Volk den SiegeSruf: „Hei rocht! hei rocht! hei iS
keen Pictistc!" durch alle Straße» der Stadt Hannover, als
deren Stadtprediger acht Tage später der Candidat GotthelfFlüggc
auS Halle, in der Marttkirche feierlichst eingeführt wurde.
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