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Der verhängnißvolle Bleistift.

Kindes meine Entschlüsse leiteten, diese Ueberzeugung darf ich
wohl bei Ihnen voraussetzen; wenigstens glaub' ich ein Recht
darauf zu haben. Nun hören Sie weiter. Gerade damals er-
hielt ich von einem langjährigen Geschäftsfreunde, Herrn Na-
thanael Reismeier in Hamburg, den Antrag, meine Tochter
seinem jüngsten Sohne, den er demnächst in Rordhausen zu
ctabliren gedenke, zur Frau zu geben. Diese Verbindung nun
schien mir alle diejenigen Erfordernisse zu haben, auf die nur
immer der gewissenhafteste und sorgsamste Vater Anspruch
machen konnte. Der junge Mann wurde mir als ein braver,
geschickter, gcschäftsgewandter, heiterer junger Mann geschildert,
gerade so wie ich ihn mir zum Schwiegersöhne wünschte. Dazu
kam, daß er ein sehr einnehmendes Aeußere haben sollte, was
ich mit Rücksicht auf meine Tochter auch für eine erwünschte
Zugabe hielt. Ihre Vermögcnsverhältnisse waren sich ziemlich
gleich. Sagen Sie also selbst, was sollte, konnte ich mehr
wünschen? Der junge Mann, nachdem er sich in allen übrigen
Zweigen des kaufmännischen Waarenvertricbs die nvthige Er-
fahrung und Routine erworben, hatte in letzterer Zeit als Rei-
sender den Vertrieb des Rheinweins für ein großes Weinge-
schäft in Köln besorgt, hauptsächlich um die Absatzwege des-
selben genau kennen zu lernen, da er mit einem Colonialwaaren-
und Tabaksgcschäft zugleich eine Weinhandlung in Nordhausen
eröffnen wollte. In den nächsten Wochen sollte und wollte sich
der junge Mann, den ich von Person bisher nicht kannte, bei
mir produciren. Ich ergriff natürlich den Vorschlag mit bei- !
den Händen und scheute trotz meines Alters, um mich von den
geeigneten Verhältnissen Nordhausens zur Etablirung eines
solchen großartigen und complicirtcn Geschäfts selbst zu über-
zeugen, eine Fahrt dahin nicht. Ich fand alle Chancen für
einen glücklichen Erfolg. Froh und vergnügt, aber auch gründ-
lich ermüdet fuhr ich nach vierundzwanzigstündigem Aufenthalt
von dort wieder ab. In der Post saß nur noch ein alter,
würdiger Landgeistlicher aus dem Harz, der in seine Dorfge-
meinde zurückkehrte und gleich mir die Absicht zu haben schien,
die Dauer der Reise über den Harz durch Schlaf in einer der
Wagenccken möglichst abzukürzen. Unterwegs gesellte sich noch
ein junger Mann zu uns, der viele der unangenehmen Eigen-
schaften, durch die sich eine große Anzahl der jungen Handels-
reisenden in Verruf gebracht haben, blicken ließ. Schwatzhaft,
redselig, renommirend, schlüpfrige Anekdoten erzählend und Me
Witze reißend, vereitelte er die wiederholten Versuche des wür-
digen Geistlichen, in dem friedfertigen Geschäfte des Schlafens
fortzufahren, auf jede Weise. Bei mir gelang ihm dieses frei-
lich nicht, und ich war herzlich froh, daß ein überwältigendes
Gefühl der Müdigkeit mich der Unannehmlichkeit größtentheils
überhob, seine ungewaschenen Auslassungen mit anhören zu
müssen. Als ich aber nach längerem Schlummer einmal er-
wachte, konnte ich doch nicht vermeiden, folgendes Bruchstück
ihres Gesprächs, das mir für den Augenblick allen Schlaf aus
den Augen trieb, mit anhören zu müssen. Der alte Geistliche
sagte eben: „Rach meinem Geschmack hat ein solches immer-
währendes Umberrcisen, wie Sie's thun, ein so beständiger
Wechsel des Aufenthalts und der Menschen, mit denen Sie

verkehren, durchaus nichts Anziehendes, vielmehr etwas Er-
schreckendes, in das ich mich gar nicht hincindenken kann. Sie
sind in meinen Augen schlimmer daran, wie der hemmschwei-
fende Beduine der Wüste. Denn dieser hat doch aus seinen
Wanderzügen Alles bei sich, wonach des Menschen Herz ver-
langt, seine Heimat, sein Zelt, Weib, Kinder, Pferde und
Kamecle und was er sonst sein nennt. Wirklich ich bedauere
Sie." „Bedauern?" lachte der junge Mann. „Bitte sehr,
gar nicht Vonnöthen, im Gegcntheil. Wohin ich komme, bin
ich wie zu Haus und finde sogar in'der Fremde Manches, was
ich zu Hause nicht habe, hier eine nette, gefällige Wirthsfrau,
die schon auf mich gewartet hat, oder eine allerliebste Wirths-
tochter, oder eine hübsche und willfährige Stubcnmagd oder
auch, wo es an diesen gebricht, eine andere hübsche Freundin,
die meine Wäsche besorgt, kurz es fehlt mir an einem Wechsel
in diesem Artikel nirgends. Hemden und Frauen können nicht
oft genug gewechselt werden." Dabei lachte er und sah uns
mit seinen wirklich hübschen Angen an, als fordere er uns auf,
seinem Gemeinplätze beizustimmen. Der alte Pastor stieß ein
recht vernehmliches „Pfui!" heraus, und ich that ihm natürlich
den Gefallen auch nicht, sondern spie als einzige Antwort zum
Wagenfenster hinaus, schloß meine Augen mit dem lebhaften
Bedauern, meine Ohren nicht auch verschließen zu können, und
schlief dann wieder über den betrübenden Gedanken ein, daß
die jungen Leute jetzt so ganz anders wären, als zu meiner
! Zeit. Als ich von diesem improvisirten Schlafstündchen erwachte,
war der Kuckuck ausgeflogen; er hatte auf der letzten Station
die Post verlassen.
Ein paar Stunden später, Morgens gegen 11 Uhr kam
ich in H. an. Hier mußte ich diese Route verlassen und den
Abgang einer Seitenpost abwarten, die wöchentlich nur zweimal
abging und erst gegen Abend des andern Tags erpedirt wurde.
Ich stieg in dem ersten besten Gasthof ab; der von mir ge-
wählte hatte den Vorzug, nicht weit ab von der Post zu lie-
gen. Der Wirth war freilich ein grober, tölpelhafter Kerl mit
thierischem Gesichte, der den ganzen Tag mit einer Nachtjacke
und schweren Holzpantoffeln dröhnend durch Haus und Hof
polterte; aber seine Frau war eine hübsche, freundliche Blon-
dine von höchstens 24 Jahren. Im Hause selbst war es rein-
lich und sauber, und das mir angewiesene Zimmer recht wohn-
lich und behaglich. Auch die Speisen waren zwar einfach, aber
gut zubcreitet. Kurz ich hatte keine Ursache, mit der Wahl
meines Absteigequartiers unzufrieden zu sein. Den größten
Theil des Nachmittags brachte ich damit hin, Herrn Reismeier,
Vater, über die Verhältnisse Nordhausens zu schreiben. Gegen
Abend aber griff ich nach Stock und Hut, um mich in der
nächsten Umgebung der Stadt umzuschen. Als ich über den
Hof schritt, traf ich den Wirth bei einem sonderbaren Geschäft.
Er hielt einen Tiegel mit flüssigem Blei in der Hand und
suchte dasselbe in einen der Länge nach ausgehöhlten Stock ein-
zufüllcn. Unwillkürlich sah ich ihm einen Augenblick zu, ohne
daß er sichtlich Notiz von mir nahm. Dann fragte ich neu-
gierig: „Was soll denn das werden, Herr Wirth?" „Dat
wärt 'n Bliestift!" antwortete er in der dort üblichen platt-
Bildbeschreibung
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