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Aus dem deutschen Kleinstädterlebeu.

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Diese feine Wendung verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht,
die Frau Bürgermeisterin lächelte verwirrt, betrachtete mich
dann mit einer Art Ehrfurcht, die zu sagen schien: O Gott
ein Franzose und — schwieg, was die Hauptsache war. —
Wir kamen in dem Städtlein an.
Die Frau Bürgermeisterin stieg an einem der ersten
Hauser ab, wo sie von drei dicken Weibern und zwei sehr
dünnen Männern (jedenfalls Verwandten) abgeküßt wurde; ich
aber wallte dem Postgebäude zu, das grün und roth ange-
strichen war, eine lange gelbe Bank vor sich hatte, die als
Passagierstube diente, und eine Apotheke, worin der Herr
Postmeister eben für 3 Pfennige Sennes-Blütter verkaufte.
Ich frug nach dem besten Gasthof — es war nur einer
vorhanden — also in diesen.
Ein Kellner mit einer Frisur, wie ich sie zuvor nie ge-
sehen, führte mich in eine Art Saal, in dem fünf Betten
standen und der so niedrig war, daß ich fortwährend ge-
krümmt stehen mußte. Es war dieß der sogenannte „Ehren-
saäl," wie mich der Kellner belehrte, wohin nur ausgezeichnete
Frenide gebracht wurden. (Jedenfalls war es durch die
Frau Bürgermeisterin bereits ruchbar geworden, daß ein
Franzose angekommen sei.)
An den Wänden dieses Ehrensaals hingen Schaarcn
^ von schlechten Lithographien und Silhouetten an verblichenen
Atlasschleifchcn, unter welchen Elfteren sich ein Napoleon
auszeichnete, den ich unbedingt für Pestalozzi gehalten, hätte
mich nicht der allbekannte Hut auf die Spur gebracht. Wo-
hin man trat, stieß man auf Stiefelknechte, der Fußboden,
fausthoch mit Sand bestreut, glich einem Gebirgsland, da er
so tief ausgewaschen war, daß die Aeste in den Dielen wie
j Felswurzeln emporstanden.
Auf meinem Wunsch nach einem Barbier erschien ein
solcher nach einer geschlagenen halben Stunde, da er zuvor
! eine Leiche rasiren mußte, wie er mich auf Amtsehre ver-
sicherte. Dieser Mensch sah einem Straßenräuber nicht un-
ähnlich, so daß ich es aus doppelten Rücksichten vorzog, meine
Kehle meinem eigenen Messer anzuvertrauen.
Wie es in allen derartigen Gasthöfen der Fall, man
wird von der Bedienung durchaus nicht überlaufen, im Gegen-
theil es kümmert sich der Wirth, weil er stark im „Schafs-
kopp" ist, sehr wenig um seine Gäste, und so blieb mir hin-
reichend Muße, meine Betrachtungen anzustellen.
Ich schlenderte demnach im Städtchen umher, mit sei-
nem Schlosse, das die größte Küche Deutschlands besitzt, wo
aber nur portionenweise gekocht wird, mit seinen alterthüm-
lichen Häusern, deren Stockwerke dem Wanderer über den
Kopf zu stürzen scheinen, und die alle aus Weinlaub und
Rosensträuchern Hervorschauen; sah zwei Elegants mit den un-
i vermeidlichen weißen Bändchen, die aus der roßhärenen Cra-
! vatte blitzten, und dem „Vatermörder" oder „Vorhemdchen"
^ angehörten, ohne welche ein rechter Kleinstädter kein solider
Mann zu sein glaubt. Ich sah ferner 25 Mann Soldaten
mit sehr vielen Offizieren, was zusammen man hier „Con-
tingent" nannte, sodann das Schloß mit einer unbrauchbar

gewordenen Kettenbrücke, einem versumpften Graben, worauf
ein flügellahmer Schwan und drei Wasserlilien schwammen,
die mau mir als „Viktoria roxia's" bezeichnet. Neberall
aber konnte man Warnungstafeln erblicken mit der Aufschrift:
„bei 1 Thaler 10 Groschen Strafe: hier nicht stehen zu
bleiben," oder: „bei 3 Thaler Ahndung an dieser Mauer
nicht zu — pfeifen" — und das Alles „von Amtswegen!"
— Ich berechnete später, daß man bei einem solchen Spazier-
gange bequem 10 Thaler los werden kann, ohne dabei das
geringste Vergnügen gehabt zu haben.
Während dessen erfuhr ich auch, daß heute das große
Volksfest zu Ende ginge, das auf der „Ochsenwiese" alljährlich
begangen wurde. Ich beschloß dieses Volksfest zu besuchen und
kehrte jetzt in meinem Gasthof zur Mittagstafel zurück. Die
Servietten waren hier so groß wie kleine Bettücher, man aß
auf Zinntellern, es fehlte nur noch, daß Messer und Gabel
an Ketten lagen, wie das in Zuchthäusern Sitte ist.
In der Suppe schwammen zolllange Knochen, halbe
Möhren und ganze Zwiebeln; das Rindfleisch hätte man mit
der Axt zerhauen mögen, und doch fand es ein kleiner Actu-
arius heute besonders mürbe. Ich hätte den Heuchler er-
stechen mögen. — Man setzte Fische auf, von denen ich Hütte
schwören mögen, daß sie aus dem ominösen Schloßgraben
stammten, und den unausbleiblichen Schweiusbraten, der in
seinem Fette schwitzte. Die Mehlspeise jedoch setzte dem Ganzen
die Krone auf. Sie sollte eine Art Torte vorstellen, hatte
aber so wenig Bindemittel, daß man sie löffelweise einnehmen
mußte. Zum Kaffee nahm man braunen Kandis, rauchen
durfte mau aber nicht, weil dies die Singvögel der Frau
Wirthin nicht vertragen konnten.
Nun brachte mir der Kellner das Fremdenbuch, das so
reinlich aussah, wie ein Spiel Karten von der Wachtstube.
Der Kellner ersuchte mich, meinen „wertheu Namen" einzu-
tragen, was so unleserlich geschah, daß ich dem Aktuarius
ziemlich verdächtig vorkam, nachdem er unter dem Vorwände,
ein Gläschen „Anis" am Schenktische zu nehmen, einen Blick
in das Fremdenbuch geworfen.
Ich entfernte mich alsbald und ging in ein Gärtchen
hinauf, das zum Gasthaus gehörte.
Ein alter verbrauchter Ofenaufsatz sollte eine Statue vor-
stellen; sonst wuchsen hier Kürbisse, Kartoffeln und andere
seltene Gewächse. Man genoß übrigens einer sehr hübschen
Aussicht, welche ich mit einer Nadel auf eine» der größten
Kürbisse einstach. Welchen Effect diese Kürhiß-Skizze machte,
sollte ich später erfahren, hatte doch mein Feind der Aktuarius
hinter der Ofen-Statue meinem Treiben gelauscht.
Also das Volksfest.
Man stelle sich eine Wiese vor, so groß, wie ein mäßiger
Tanzsaal. In der Mitte eine Bratwurstbude, zu Seiten zwei
„saure Gurkenweiber," welche für 2 Pfennige auch einmal
abbeißen ließen. Auf einer ziemlich hohen Stange prangte
der Rumpf eines hölzernen Vogels, der heute herabgeschossen
werden mußte. Die Schützen waren wie überall, große
und kleine Kinder, aber auch Damen waren dabei.
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