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Aus dem deutschen Kleinstädterleben.

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Unter deni Namen: „Menagerie" fungirte eine Bretter-
bude mit zwei wilden Kaninchen, einem Waschbären und einem
ausgestopften Leoparden : nebenan fraß ein Australier (?) junge
Katzen, wozu er reichlich Branntwein schluckte, um etwaigen
Folgen vorzubengen. — Ein kleines geschwärztes Häuschen
aber, zweifelsohne ein gewesener Viehstall, spannte meine
Aufmerksamkeit im höchsten Grade.
lieber dem Eingänge stand mit noch nasser Dinte ge-
schrieben: „Gräßliches Unglück! Darum helft, da Nothdurft
vorhanden ist! — Der Stadtrath."
Was war das für ein gräßliches Unglück? Doch Geduld!
Bor dem Zelte agirte ein sehr blasser Herr mit noch
blässerer Halsbinde, der mit hinreißender Beredsamkeit die
Feuersbrunst schilderte, die vergangene Nacht den Besitzer des
Zeltes, in welchem ein Wachsfiguren-Cabinet aufgestellt war,
heimgesucht hatte. Der Herr appellirte nun an den „bekannten"
Wohlthätigkeitssinn seiner Mitbürger, für den ruinirteu Mann
des Wachsfiguren-Cabinets Etwas zu thun, wogegen Jeder,
der ein Schärflein beitrüge, die traurigen Ueberrcste der ge-
schmolzenen Figuren auscheu könne. „Auch die Fremden
mögen sich dem edlen Zwecke anschließen," fügte der Redner noch
bei, und warf mir dabei einen so bedeutsamen Blick zu, daß
ich augenblicks in das Zelt trat, die merkwürdigen Ueberreste
der traurigen Kunstwerke (oder unigekehrt) anzustauneu.
Ich war sehr bald fertig damit. — An der Erde lagen



6—8 große schmutzige Wachsklumpen, welche sämmtlich mit
Zetteln versehen waren. Auf dem ersten Wachsklumpen war
zu lesen: „Dies war Friedrich der Große;" auf dem zweiten:
„Maria Stuart im Gefängniß" u. s. w. Auf einem der
letzten und größten Klumpen stand: „Edelmüthiger Streit
zwischen Vater und Sohn." Dies soll das Schönste gewesen sein.
Bald fiel der Königsschuß. Ein schreckliches Durch-
einander von Pfeifen, Trommeln, Vivats, Pauken und Hunde-
gebell erfüllte die Luft, und: „die Petzholden ist's!" erscholls
von allen Seiten. Madame Petzhold, eine 52jährige Dame,
war so glücklich gewesen, den Meisterschuß zu thun. Sie
entfernte sich auf einige Minuten, so schien sie das Glück zu
betäuben. Bald erschien sie wieder, von dem vorjährigen
Könige geführt, noch mit dem grünseidenen Kissen an der
rechten Wange, das sie umgebunden hatte, um nicht von der
Armbrust geprellt zu werden. Mit diesem Kopfschinucke wurde
sie dreimal uni die Ochsenwiese geführt und verschwand daun
mit dem ganzen Zuge in die Bratwurstbude.
Die Eindrücke, die ich auf diesem Volksfeste empfangen
hatte, waren so mächtig, daß ich nicht länger verweilte, um
nicht das Gefühl geistiger Abspannung über mich kommen
zu lassen. Ich ging also.
Ein kleiner Kramladen, der ein Schaufenster mit zwei
Schwefelfaden, drei ansgeblasenen bunten Eiern und einem:
Von Fliegen verunreinigten Glaeö-Handschuh hatte, dabei
aber (nämlich der Laden) auf seinem Schilde betheuerte: ächt,
amerikanische Cigarren zu haben, verführte mich, meine Ein--
drücke zu verrauchen; zu meiner Verwunderung reichte man'
mir sehr gute Cigarren, und als ich mein Befremden darüber
so delikat als möglich laut werden ließ, entgegnete mir der
geschmeichelte Verkäufer, daß diese Sorte Niemand in der
Stadt hätte rauchen können, weil sie zu schwer gewesen sei,
und er habe sie nun bereits 25 Jahre liegen, ohne einen
geneigten Abnehmer zu finden.
Der Krämer war, nebenbei bemerkt, jener bleiche Herr
vor der Wachsbnde. Schnell erzählte er mir, daß er diei
„Wiese" nie besucht hätte, wäre es nicht ein Actus der Wohl- !
thätigkeit gewesen, der ihn dahin geführt hätte; überdieß ver-
trüge es sich nicht einmal mit seiner Stellung, dergleichen.
Orte zu frequentiren. Sehr höflich frug ich: welchen Posten
er wohl bekleidete?
„Ich bin der Hofrath Limbach! Da aber sämmtliche!
Hofchargen unbesoldet sind, so treiben wir Cavaliere meist
ein Nebengeschäft. So ich z. B. „Materialien- und Schnitt- !
waaren-Handlung." Bei dem letzten Worte warf er einen !
höchst zufriedenen Blick auf mehrere Stückchen Leinwand und !
gedruckten Cattun, die am Syrupfaß lehnten.
Die Stunde zu meiner Abreise nahte indessen Heran.— Ich
wollte das hochgelegene Gärtchen des Gasthofes wieder be-
steigen, um noch einmal mein Städtchen zu überblicken, aber
da gab's ein Stoßen und Drängen! Die halbe Stadt, vom
Volksfeste zurückgekehrt, stand bereits oben im Gärtchen und
starrte meinen Kürbis mit der „Wunderschönen Aussicht" an.i

10^
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Aus dem Kleinstädterleben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Hilfeleistung
Herr <Motiv>
Wachsfigur
Bitte <Motiv>
Karikatur
Brandschaden
Wachsfigurenkabinett
Schmelzen
Satirische Zeitschrift
Maria II., England, Königin

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Public Domain Mark 1.0
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Fliegende Blätter, 24.1856, Nr. 562, S. 75

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