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Ball-Erinnerungen einer Leipziger Köchin.
Hanne, Christel und Riecke haben ihre Waffereimer am
Brunnen gefüllt und treten zu einem „traulichen Geplauder"
zusammen.
Hanne. „Nee, das kennt Ihr gar nich globen, wie scheene
das Gestern Abends uff das Ballvergnigen von de Schneiderge-
sellens war. So en Loksus wie immer meine Madam sagt, kann
uff de Hofbälle un uffde Brofeffersschmeise nich größer sein."
Riecke. „Da Hast'e Recht. Ich hatte vor'n Jahre en
Liebsten, das war een Schneider und da bin ich noch mehre-
mals mit in de Suarehens gegangen; aber mei Adolf, so hieß
mei Schneider, mußte fort, weil de Bolezei dachte, er geherte
zu ener dimegradischen Verbindlichkeit. JeH hab' ich eenen
Tischler, er seift zwar een bischen un is noch etwas dimlicher
Natur, aber sonst is er een sehr solider Mensch un hat
schon von Heirathen gesprochen."
Christel. „Mit welchen bist Du denn hingegangen,
Hanne; Du hattest doch friher eenen Schlosser?"
Hanne. „Na höre mir von den krumbeenigen Dingricht.
uff. Es löst mir allemal de Galle iber, wenn ich an den
etferfichtlichen Grobsack denke, der noch gar keene Manieren
nich un keene Lebensartigkeet erst recht nich hatte. Es werd
ihn aber schon noch geh'n wie er's verdient, denn ich habe ge-
hört, daß er setz' een Verhältniß mit Doktor Millers ihren
Kindermädchen hat, Ihr wißt schon, mit der Guste aus Eilen-
borg; na nu das ist de Rechte! die keilt ihn un kratzt ihn de
Oogen aus, denn die hat schon wenigstens een halb Schock
Liebstens gehabt un weeß mit de Männer umzugeh'n, wie sie's
verdienen, was man Ruthine nennt, wie meine Madam immer sagt."
Christel. „Ja, ja. Aber nu erzehle noch von Deinen
Balle, denn wenn ich so lange hier
stehen un dischkuriren thue, schimbst
meine Madam, wenn ich zu Hause
komme un denkt gleich, ich Hette een
Verheltniß mit irgend eenen männ-
lichen Wesen oder eenen Liebsten. Se
schreit so schon seit drei Jahren alle
Dage wenigstens zehnmal: Nächsten
Ersten ziehst'e ab!"
Hanne. „So is meine grade
ooch!"
Riecke. „Meine ooch!"
Hanne. „Nu paßt also uff.
Am Freitag Abends um Sechse klingelt's
bei uns. Hanne, mache mal uff!
schreit meine Madam aus der Stube.
Ich mache also uff, aber ich denke doch,
mich soll der Schlag rihren wie ich
uff eenmal meinen geliebten Heinrich,
meinen Schneidergcsellcn stehen sehe, mit
seine Klisehhandschuhe un den kaffee-
braunen Frackmit goldne Kneppe. Gu'n
Abend, Johanna, flüsterte er mit
seinesanfte Dehnohrstimme. Ich konnte
aber vor Erschrecklichkeet weiter
nichts nich 'raus bringen als wie eenen Schrei. Was is denn
los? schreit meine Madam wie sie mich so schreien hört un
kommt mit eenen Lichte. Wie se aber meinen feinen Heinrich
stehen sieht, denkt se, es is een Studente, der zu ihren Manne
zum Brofeffer will un sagt gleich ganz heflich: Ach, entschuldigen
Se gitigst- aber das Mädchen is so sehre dumm (damit meente
se mich!), aber mei Mann is noch nich zu Hause; wollen Se
nich einstweilen näher treten? Da worde aber mei Heinrich
ganz verlegen un sagte: OH, ich bitte Ihnen recht sehre! Se
verwechseln mich wahrscheinlich mit Jemanden Andersen, den
ich ähnlich sehen thue. Ich will eegcntlich gar nich zu Ihren
Herrn Mann, sondern mehrstentheels vielmehr blos zu Sie un
zu Johannan. — Na, da hättet Ihr eenmal das Gesicht sehen
sollen, was meine Madam machen that. Se fragte aber ganz
ruhig weiter: Soooooh! Na, was wollen Se denn? Nu fing
Heinrich ordentlich an zu zittern un dann stotterte er: Ich
wollte — Ihnen nur ersuchen — ob — ob Sie nich wollten
de Gitigkeet haben un — Johannan erlooben — ob se kennte
ufstn Sonntag mitmachen bei das Herr enkleedermacher-
gesellenwintervergnigen? — Meine Madam rimbste de
Nase un wollte erst dorchaus nich un sagte: ich were ja vor
vier Wochen schon mit in's Tifolie gewesen; aber Heinrich ließ
nich locker bis endlich meine Madam ganz freindlich worde un
schrie: Ra meintswegen, loof in's Teifels Namen, wohin De
willst, Du loofigter Zackermentsbalg infamigter!"
Riecke. „Nee, was Du vor eene gute Madam hast, das
is doch werklich wahr!"
Hanne. „Ich war also ganz iberglicklich, wusch mer noch
Ball-Erinnerungen einer Leipziger Köchin.
Hanne, Christel und Riecke haben ihre Waffereimer am
Brunnen gefüllt und treten zu einem „traulichen Geplauder"
zusammen.
Hanne. „Nee, das kennt Ihr gar nich globen, wie scheene
das Gestern Abends uff das Ballvergnigen von de Schneiderge-
sellens war. So en Loksus wie immer meine Madam sagt, kann
uff de Hofbälle un uffde Brofeffersschmeise nich größer sein."
Riecke. „Da Hast'e Recht. Ich hatte vor'n Jahre en
Liebsten, das war een Schneider und da bin ich noch mehre-
mals mit in de Suarehens gegangen; aber mei Adolf, so hieß
mei Schneider, mußte fort, weil de Bolezei dachte, er geherte
zu ener dimegradischen Verbindlichkeit. JeH hab' ich eenen
Tischler, er seift zwar een bischen un is noch etwas dimlicher
Natur, aber sonst is er een sehr solider Mensch un hat
schon von Heirathen gesprochen."
Christel. „Mit welchen bist Du denn hingegangen,
Hanne; Du hattest doch friher eenen Schlosser?"
Hanne. „Na höre mir von den krumbeenigen Dingricht.
uff. Es löst mir allemal de Galle iber, wenn ich an den
etferfichtlichen Grobsack denke, der noch gar keene Manieren
nich un keene Lebensartigkeet erst recht nich hatte. Es werd
ihn aber schon noch geh'n wie er's verdient, denn ich habe ge-
hört, daß er setz' een Verhältniß mit Doktor Millers ihren
Kindermädchen hat, Ihr wißt schon, mit der Guste aus Eilen-
borg; na nu das ist de Rechte! die keilt ihn un kratzt ihn de
Oogen aus, denn die hat schon wenigstens een halb Schock
Liebstens gehabt un weeß mit de Männer umzugeh'n, wie sie's
verdienen, was man Ruthine nennt, wie meine Madam immer sagt."
Christel. „Ja, ja. Aber nu erzehle noch von Deinen
Balle, denn wenn ich so lange hier
stehen un dischkuriren thue, schimbst
meine Madam, wenn ich zu Hause
komme un denkt gleich, ich Hette een
Verheltniß mit irgend eenen männ-
lichen Wesen oder eenen Liebsten. Se
schreit so schon seit drei Jahren alle
Dage wenigstens zehnmal: Nächsten
Ersten ziehst'e ab!"
Hanne. „So is meine grade
ooch!"
Riecke. „Meine ooch!"
Hanne. „Nu paßt also uff.
Am Freitag Abends um Sechse klingelt's
bei uns. Hanne, mache mal uff!
schreit meine Madam aus der Stube.
Ich mache also uff, aber ich denke doch,
mich soll der Schlag rihren wie ich
uff eenmal meinen geliebten Heinrich,
meinen Schneidergcsellcn stehen sehe, mit
seine Klisehhandschuhe un den kaffee-
braunen Frackmit goldne Kneppe. Gu'n
Abend, Johanna, flüsterte er mit
seinesanfte Dehnohrstimme. Ich konnte
aber vor Erschrecklichkeet weiter
nichts nich 'raus bringen als wie eenen Schrei. Was is denn
los? schreit meine Madam wie sie mich so schreien hört un
kommt mit eenen Lichte. Wie se aber meinen feinen Heinrich
stehen sieht, denkt se, es is een Studente, der zu ihren Manne
zum Brofeffer will un sagt gleich ganz heflich: Ach, entschuldigen
Se gitigst- aber das Mädchen is so sehre dumm (damit meente
se mich!), aber mei Mann is noch nich zu Hause; wollen Se
nich einstweilen näher treten? Da worde aber mei Heinrich
ganz verlegen un sagte: OH, ich bitte Ihnen recht sehre! Se
verwechseln mich wahrscheinlich mit Jemanden Andersen, den
ich ähnlich sehen thue. Ich will eegcntlich gar nich zu Ihren
Herrn Mann, sondern mehrstentheels vielmehr blos zu Sie un
zu Johannan. — Na, da hättet Ihr eenmal das Gesicht sehen
sollen, was meine Madam machen that. Se fragte aber ganz
ruhig weiter: Soooooh! Na, was wollen Se denn? Nu fing
Heinrich ordentlich an zu zittern un dann stotterte er: Ich
wollte — Ihnen nur ersuchen — ob — ob Sie nich wollten
de Gitigkeet haben un — Johannan erlooben — ob se kennte
ufstn Sonntag mitmachen bei das Herr enkleedermacher-
gesellenwintervergnigen? — Meine Madam rimbste de
Nase un wollte erst dorchaus nich un sagte: ich were ja vor
vier Wochen schon mit in's Tifolie gewesen; aber Heinrich ließ
nich locker bis endlich meine Madam ganz freindlich worde un
schrie: Ra meintswegen, loof in's Teifels Namen, wohin De
willst, Du loofigter Zackermentsbalg infamigter!"
Riecke. „Nee, was Du vor eene gute Madam hast, das
is doch werklich wahr!"
Hanne. „Ich war also ganz iberglicklich, wusch mer noch
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ball-Erinnerungen einer Leipziger Köchin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 24.1856, Nr. 565, S. 98
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg