142 Herrn Graf's Tagebuch über eine Reise nach Prag und Wien.
tigen Begriff machen, weil dieses immer hin und her, krumm
und grade durcheinander geht, wie in einen Laberind.
Wenn sich der Fremdling will in die Stadt zurechtsinden,
so muß er sich einen Strick um den Leib befestigen, den er
an seine Wohnung anbindet. Auf diese Weise kann sich Ei-
ner schon nicht so leichte vergehen. Aber dieses geht doch auch
nicht in die Wirklichkeit zu machen, denn wenn sich Jeder wollte
einen Faden anbinden, da mißte dieses in die belebtesten Stra-
fen und Blähe manchsmal eine schöne Verfitzerei geben, wo
man sich aus alle die Knoten hernach selbst gar nicht mehr
herausfinden könnte.
Die meiste Aufmerksamkeit von die Fremden zieht der
großartige Stefansthurm auf sich, weil man ihn überall dariber
Hinausrachen sieht und fich immer von ihn angezogen fihlen
muß. Wir wendeten unsre Schritte auch jetzt gleich zuerst auf
ihn, weil wir uns von seiner schwindelhaftigen. Hetze konnten
den besten kleberblick über das Ganse verschaffen.
Die Kirche ist in den erhabensten godischen Stiele erbaut,
so daß man vor Bewunderung gar nicht zu sich selbst zurück-
kommen kann, vielmehr dagegen Einen immer vor Erstaunlich-
keit der Mund offen stehn bleibt. Nur will es mir gar nicht
gefallen, daß sie die ganse Kirche inwendig schwarz angestrichen
Haben, wenn nicht vielleicht gar die Zeit selbst mit den Bin-
sel der Alterthiemlichkeit diese Malerei besorgt hat. Vielleicht
findet fich einmal ein rechter reinltchter Menschenfreind, der das
Innerliche dieser Kirche einmal weiß anstreichen thetc.
Unter die Kirche befinden sich die großen Kathikomben,
worin viele hunderttausend Menschen in den Felsen eingehauen
und begraben liegen. Da dieses unterirdische Begrebnis aber
für die todten Leichnamen sehr ungesund gewesen ist, so Haben
sie endlich schon seit viele Hundert Jahre keine mehr dahin-
unterbegraben.
Aber auch ein sehr schöner Genus erwartet Einen, wenn
man den Stefansthurm besteigt, weil man da, so zu sagen, auf
die andern Menschen mit gebicrender Verächtlichkeit von da
oben kann Hinabsehen. Auf eine Wendeltrcbbe kommt man erst
aus das Kirchendach, welches auch sehr großartig ist, und ob-
gleich man wegen die Finsterniß gar nichts davon sieht, so hat
Kohle dennoch eine Abbildung sich davon mitgenommen,
n
° k
») Dieses hier ist nemlich die Helfte von dem Kirchen-
dache, was hat ein gewisser Carl der Große eigenhendig bauen!
lassen ,i
b) und dieses hier ist die andre Helfte, welche einige
Jahrhunderte sbeter gebaut worden ist, was man auch gleich
an die ganse Beleichtung sieht, dem Karl den Großen seine
alte Helfte ist noch einmal so schwarz als wie die andre.
Wenn man sich nun in dem Thurm höher hinauf be-
giebt, so kommt man balde an die große Glocke, welche nach
die Tirkenkriege ist aus erbeidcte feindliche Kanohnen und aus
tirkische Scheidemünze gegossen geworden. Woraus man sieht,
daß die Tirken missen viel kleines Geld bei sich gehabt haben.
Das Ganse und die Pabierthaler werden sie aber wohl in ihre
weite Bumbhosentaschen wieder mit nach die Tirkei zu Hause
genommen Haben.
Da oben ist auch der Sitz, wo der damalsige Befehlshaber
von Wien ist alle Tage hinauf gestiegen und hat mit sein betricb-
tes Auge durch einen Opernkuker die ganse Tirkenbastehte rings
Herum mit angesehn, bis daß sie ihn entsetzt haben.
Von die Aussicht auf den höchsten Gibfel des Thurmes
kann man aber gar Niemanden keine Beschreibung machen, in-
dem da der Blick jans betrunken und benebelt wird, wie man
in die Boehfie immer zu sagen flegt. Von einer Höhe aus
mehrere tausend Fiße über das Meer aufeinandergesetzt, steht
man hier oben und sieht die ganse Welt wie einen Ameisen-
haufen unter fich herumkraweln, während man wieder in den
Hindergrund um die ewigen Schneeallpen herum sieht.
Im klebrigen kann man sich von diese Höhe sehr gut
ohriechenthieren, wie die Stadt eichentlich liegt, nur ist es
Schade, daß man den gansen Blan vergessen hat, wenn man
wieder herunter kommt, weil man unterwegs beim Herunter-
steigen in den Schwindel der Wendeltreppe alles wieder vergießt.
Wie wir unten waren, bewunderten wir noch einmal die
wunderschöne Bauart, wobei Spreeberger, der Berliner, aber
immer lechclnd den Kobf schittelte und mir dann in das Ohr
flisterte:
„Wissen Sie, Jraf, jut ist das Jebäude, das muß man
schon sagen, aberst ick jloobe man noch jar nich recht, daß die
janze Stefanskirche wirklich hier jemacht ist. Mich kommt es
jrade vor, als wenn man das Janze Berliner Arbeit wäre, so
wie vielleicht unsre neue Petrikirche, die voch in denselbigten
Stiele jemacht ist. Man kann et jar nich wissen, ob nich ooch
hier die Stefanskirche friher een Mal in Berlin ist jebaut je-
worden und daß die Wiener man speter sie fich uff Akzien oder
sonst wie aus Berlin jekoost Haben."
Wie ich ihn wegen diese Idee auslachen that, wurde
Spreeberger ordentlich bösartig und sagte, daß so was vor die
Berliner zu machen nur eine ganse kleine Kleinigkeit wäre.
Was den Fremdling bei seine ersten Ausstiege in Wien
auch in die Augen sbringt, dieses sind die Droschken, welche
man Hier Fiacker nennt.
(Fortsetzung folgt.)
tigen Begriff machen, weil dieses immer hin und her, krumm
und grade durcheinander geht, wie in einen Laberind.
Wenn sich der Fremdling will in die Stadt zurechtsinden,
so muß er sich einen Strick um den Leib befestigen, den er
an seine Wohnung anbindet. Auf diese Weise kann sich Ei-
ner schon nicht so leichte vergehen. Aber dieses geht doch auch
nicht in die Wirklichkeit zu machen, denn wenn sich Jeder wollte
einen Faden anbinden, da mißte dieses in die belebtesten Stra-
fen und Blähe manchsmal eine schöne Verfitzerei geben, wo
man sich aus alle die Knoten hernach selbst gar nicht mehr
herausfinden könnte.
Die meiste Aufmerksamkeit von die Fremden zieht der
großartige Stefansthurm auf sich, weil man ihn überall dariber
Hinausrachen sieht und fich immer von ihn angezogen fihlen
muß. Wir wendeten unsre Schritte auch jetzt gleich zuerst auf
ihn, weil wir uns von seiner schwindelhaftigen. Hetze konnten
den besten kleberblick über das Ganse verschaffen.
Die Kirche ist in den erhabensten godischen Stiele erbaut,
so daß man vor Bewunderung gar nicht zu sich selbst zurück-
kommen kann, vielmehr dagegen Einen immer vor Erstaunlich-
keit der Mund offen stehn bleibt. Nur will es mir gar nicht
gefallen, daß sie die ganse Kirche inwendig schwarz angestrichen
Haben, wenn nicht vielleicht gar die Zeit selbst mit den Bin-
sel der Alterthiemlichkeit diese Malerei besorgt hat. Vielleicht
findet fich einmal ein rechter reinltchter Menschenfreind, der das
Innerliche dieser Kirche einmal weiß anstreichen thetc.
Unter die Kirche befinden sich die großen Kathikomben,
worin viele hunderttausend Menschen in den Felsen eingehauen
und begraben liegen. Da dieses unterirdische Begrebnis aber
für die todten Leichnamen sehr ungesund gewesen ist, so Haben
sie endlich schon seit viele Hundert Jahre keine mehr dahin-
unterbegraben.
Aber auch ein sehr schöner Genus erwartet Einen, wenn
man den Stefansthurm besteigt, weil man da, so zu sagen, auf
die andern Menschen mit gebicrender Verächtlichkeit von da
oben kann Hinabsehen. Auf eine Wendeltrcbbe kommt man erst
aus das Kirchendach, welches auch sehr großartig ist, und ob-
gleich man wegen die Finsterniß gar nichts davon sieht, so hat
Kohle dennoch eine Abbildung sich davon mitgenommen,
n
° k
») Dieses hier ist nemlich die Helfte von dem Kirchen-
dache, was hat ein gewisser Carl der Große eigenhendig bauen!
lassen ,i
b) und dieses hier ist die andre Helfte, welche einige
Jahrhunderte sbeter gebaut worden ist, was man auch gleich
an die ganse Beleichtung sieht, dem Karl den Großen seine
alte Helfte ist noch einmal so schwarz als wie die andre.
Wenn man sich nun in dem Thurm höher hinauf be-
giebt, so kommt man balde an die große Glocke, welche nach
die Tirkenkriege ist aus erbeidcte feindliche Kanohnen und aus
tirkische Scheidemünze gegossen geworden. Woraus man sieht,
daß die Tirken missen viel kleines Geld bei sich gehabt haben.
Das Ganse und die Pabierthaler werden sie aber wohl in ihre
weite Bumbhosentaschen wieder mit nach die Tirkei zu Hause
genommen Haben.
Da oben ist auch der Sitz, wo der damalsige Befehlshaber
von Wien ist alle Tage hinauf gestiegen und hat mit sein betricb-
tes Auge durch einen Opernkuker die ganse Tirkenbastehte rings
Herum mit angesehn, bis daß sie ihn entsetzt haben.
Von die Aussicht auf den höchsten Gibfel des Thurmes
kann man aber gar Niemanden keine Beschreibung machen, in-
dem da der Blick jans betrunken und benebelt wird, wie man
in die Boehfie immer zu sagen flegt. Von einer Höhe aus
mehrere tausend Fiße über das Meer aufeinandergesetzt, steht
man hier oben und sieht die ganse Welt wie einen Ameisen-
haufen unter fich herumkraweln, während man wieder in den
Hindergrund um die ewigen Schneeallpen herum sieht.
Im klebrigen kann man sich von diese Höhe sehr gut
ohriechenthieren, wie die Stadt eichentlich liegt, nur ist es
Schade, daß man den gansen Blan vergessen hat, wenn man
wieder herunter kommt, weil man unterwegs beim Herunter-
steigen in den Schwindel der Wendeltreppe alles wieder vergießt.
Wie wir unten waren, bewunderten wir noch einmal die
wunderschöne Bauart, wobei Spreeberger, der Berliner, aber
immer lechclnd den Kobf schittelte und mir dann in das Ohr
flisterte:
„Wissen Sie, Jraf, jut ist das Jebäude, das muß man
schon sagen, aberst ick jloobe man noch jar nich recht, daß die
janze Stefanskirche wirklich hier jemacht ist. Mich kommt es
jrade vor, als wenn man das Janze Berliner Arbeit wäre, so
wie vielleicht unsre neue Petrikirche, die voch in denselbigten
Stiele jemacht ist. Man kann et jar nich wissen, ob nich ooch
hier die Stefanskirche friher een Mal in Berlin ist jebaut je-
worden und daß die Wiener man speter sie fich uff Akzien oder
sonst wie aus Berlin jekoost Haben."
Wie ich ihn wegen diese Idee auslachen that, wurde
Spreeberger ordentlich bösartig und sagte, daß so was vor die
Berliner zu machen nur eine ganse kleine Kleinigkeit wäre.
Was den Fremdling bei seine ersten Ausstiege in Wien
auch in die Augen sbringt, dieses sind die Droschken, welche
man Hier Fiacker nennt.
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herrn Graf's Tagebuch über eine Reise nach Prag und Wien"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 24.1856, Nr. 570, S. 142
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg