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Die Puppe.

Betriebsamkeit im Inneren, zeigten sich die guten Folgen auch
mehr nach Außen im Verkehr mit ihren Nachbarn.

Leider dauerte das nicht lang. Ein Scharlachsieber, das
in der Stadt furchtbare Verheerungen unter den Kindern an-
richtete, faßte auch Louischen, das angenommene Kind der alten
Leute, und zwei Tage später saßen sie trostlos und weinend
an dem kleinen Bettchen, auf dem, mit Blumen geschmückt, die
Leiche des Kindes lag.

Das war ein schwerer Schlag, besonders für die arme
Frau, die ihre kleine Pflegetochter in der kurzen Zeit so lieb
gewonnen hatte, daß sie glaubte, das Herz müsse ihr brechen
bei dem Verlust. Sie konnte sich auch gar nicht zufrieden
geben und wurde selber so krank, daß ihr Gatte das Schlimmste
fürchtete. Um dem zu begegnen und dem Rath der Aerzte
folgend, reiste er ungesäumt nach der nur wenige Meilen weit
j entfernten Residenz, ging dort in das Waisenhaus und nahm
! sich ein anderes kleines freundliches Mädchen mit in's Haus,
j das etwa das Alter hatte wie das verstorbene.

Es war aber fast, als ob das Schicksal aus irgend einem
Grunde den alten Leuten zürne, und ihnen auch die letzte Freude,
den letzten Trost rauben wolle, den sie sich verschaffen konnten.
Eine Zeitlang, ja, ging alles vortrefflich; die alte Frau erholte
! sich wieder und gewann das neu mitgebrachte Kind fast ebenso
lieb, als sie das erste gehabt, aber nicht lange, so fing es auch
an zu kränkeln, und trotz der Kunst und Sorgfalt zweier
Aerzte, der besten, die dort zu bekommen waren, starb es nach
kurzem Krankeylager ebenfalls.

Von da an blieb das Haus wieder verschlossen, viel lange
Monden lang, und Stubenmädchen und Köchinnen, die gewisser-
maßen die Kette bildeten, durch welche die alten Leute noch
mit der übrigen Welt in Verbindung standen, erzählten draußen,
ihre Herrschaft ginge herum wie ein paar Gespenster, und das
Haus selber gliche mehr einem - Leichcnhaus, als der Wohnung
menschlicher Wesen.

Das dauerte dießmal eine lange Weile. Der alte Herr
hatte sich allerdings erboten, ein drittes Kind in das Haus zu
nehmen, aber seine Frau ihn um Gotteswillen gebeten, das nicht
zu thun. Der Himmel wolle es nicht; er habe ihnen Zeichen
genug gegeben, und was sie zweimal jetzt mit den beiden kleinen,
unschuldigen Wesen in Krankheit und Tod durchgcmacht, würde
sie zum dritten Male nicht überstthen können.

Ein halbes Jahr war hiernach verflossen, ohne daß sich
die beiden alten Leute auch mehr als dann und wann einmal
an einem recht schönen Tag auf der Straße gezeigt hätten.
Dabei gingen sie in tiefer Trauer, erwiederten aber freundlich
jeden Gruß und besuchten dann gewöhnlich den Gottesacker, auf
dem ihre beiden kleinen Pflegekinder nebeneinander schlummerten.
Woher der Name kam, wußte Niemand, aher im Volksmund
hießen sic „die Waiseneltern", und selbst die Kinder wagten
nicht über ihre etwas altväterische und fremde Tracht zu lachen,
sondern zogen, wenn die beiden stillen Leute an einem Trupp
kleiner lärmender Bursche vorübergingen, ehrfurchtsvoll ihre
Kappen ab und hörten mit Spielen auf, bis sie vorüber waren.

Indessen kam der Winter mit seinen rauhen Tagen; die

beiden Alten ließen sich gar nicht mehr draußen sehe», und
wären schon fast von ihren Mitbürgern vergessen worden, wenn
nicht plötzlich ein wunderliches tolles Gerücht über sie die Stadt
durchlaufen hätte.

Es gibt nichts so Tolles und Unwahrscheinliches, daß es
nicht gleich beim ersten Auftauchen auch einzelne Gläubige
fände, die es weiter trügen. So sehr sich aber die Bewohner
von H. anfangs dagegen sträubten, etwas für wahr zu halten,
das sie in dem müßigen Kopfe irgend einer alten Kasseeschwester
entstanden glaubten, so sahen sie sich doch bald durch mehr und
mehr a» den Tag kommende Einzelnheiten genöthigt, ihre letzten
Zweifel schwinden zu lassen, und es stellte sich endlich als voll-
kommen gegründete und/erwiesene Thatsache fest, daß die beiden
alten Leute daheim in ihrer Wohnung statt des früheren Kindes
eine Puppe, etwa von der Größe eines achtjährigen Mädchens
angeputzt hätten und sie vollkommen behandelten wie ein leben- !
diges Kind.

Das Stubenmädchen, das auch zugleich bei Tisch die
Aufwartung hatte, kündigte bald darauf ihrer Herrschaft, von
der sie sonst auf das Beste und Freundlichste behandelt wurde,
den Dienst, weil sie es vor Grauen und Entsetzen nicht länger
im Hause aushalten konnte. Es war ihr, wie sie draußen er-
zählte, zu unheimlich, ein lebloses und doch wie lebendig aus- !
sehendes Kind so zu bedienen, als ob es Geist und Seele hätte,
und die Beschreibung, die sie von dem ganzen Treiben in dem
Hause gab, ließ bei den Nachbarn und übrigen Bewohnern von
H. denn auch bald nicht mehr den geringsten Zweifel über den !
Geisteszustand der beiden alten Leute selber.

Die Puppe war der Beschreibung des Mädchens nach j
ein „schrecklich natürlich ausschender Balg" Gott weiß von was j
gemacht, aber mit einem Wachskops und Glasaugen, die sie
herüber und hinüberdrehen und auf- und zumachen konnte,
„wie ein natürlicher Mensch." Dabei hatte sie ordentliche Kleider,
Nachtjacken zum Schlafen, Morgenanzüge und „gute" Kleider
zum Ausgehen. Mittags saß sie mit am Tisch, Abends lasen
ihr die Alten Stunden lang vor, und dann wurde sic zu
Bett gebracht, und die Mutter sang sie in den Schlaf.

Dabei verschwor das Mädchen ihre Seligkeit, daß die ,
Puppe in dem letzten Jahr wenigstens fünf Zoll gewachsen
wäre, und die Madame hätte ihr auch die Kleider und Höschen
unten ausgelassen, wie bei einem natürlichen Kinde. Alles hätte
sie dabei aushalten wollen, das Bedienen und Aufwarten, selbst
das Schlafen im Zimmer, das die Madame einmal acht Nächte
lang von ihr verlangt habe, wie das Scharlachfieber wieder in
der Nachbarschaft wüthcte und sie fürchtete, daß ihr Louischen
es auch bekäme, aber eines trieb sie fort aus dem Haus in
Angst und Grauen, und das war das Alleinsein mit der
Puppe.

Wenn die alten Leute nämlich einmal ausgingen, was
allerdings in der letzten Zeit selten genug geschah, dann mußte
sie bei der Puppe bleiben und ihr Gesellschaft leisten. Dabei
hatte sie die Puppe immer starr angesehen, wohin sie auch im
Zimmer gegangen wäre, und einmal — sie wollte das Abend- s
mahl darauf nehmen — wie sie sich von ihr abgedreht und !
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