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Ein Weihnachtsabend.

sie hierbei einmal aufsah von ihrer Beschäftigung, da bemerkte
sie erst vor sich die Frau in dem alten, verblichenen Shawl.

„Ja! seh' ich denn recht?" rief sie jetzt, „seh'ich wirklich
recht? Seid Zhr's, Frau Meierin? — Ja, Ihr seid's! —
Aber, mein Gott! wo habt Ihr den» immer gesteckt? In
früherer Zeit habt Ihr doch allemal bei mir eingekauft am
Christabend, und nun sind es doch mehr als zwei Jahre her,
seit ich Euch mit keinem Aug' mehr gesehen Hab'!" — Die
Frau Meier hatte nun auch die alte Obsthändlerin, deren
frühere Kundschaft sie beständig gewesen war, recht wohl wieder
erkannt. „Freilich gab es eine Zeit, wo ich mit Freuden d'ran
ging, für den Christabend einzukaufcn! aber es ist anders
worden!" sagte sic, und seufzte aus beklommener Brust. „Mein
Man» ist über zwei Jahre lang krank gelegen und ich mit
fünf Kindern dazu, Hab' derzeit das Brod hcrschaffen müssen,"
so fuhr sie fort, „und mit fünf Kindern, das ist kein Spaß!
da ist dann Alles verbraucht und vcrdoktert worden, was wir
zusammen gebracht hatten, und mein Mann darf jetzt wieder
als Gesell' Tag für Tag in seine Schrcinerwerkstatt gehen,
denn wir sind nicht im Stande soviel auzuschaffcn, daß er
selbst eine Arbeit für eine eigene Kundschaft übernehmen könnte.
Hätte nichts für Weihnachten schaffen können, wenn nicht gcrad'
meine Näharbeit mir einen guten Verdienst eingetragen hätte.
Mein Mann weiß nur zur Hälfte davon!" fügte sic dann
selbstzufrieden bei und nun begann auch die alte Obsthändlerin,

! ein Stück von ihren Erlebnissen auszukramen; dabei trampelte
! sie fortwährend mit den Füße» auf den schneebedeckten Boden,
und blies immer von Neuem wieder in die Kohlenpfannc, denn
eö ging eine recht kalte, feuchte Luft.

Die Frau des Schreiners suchte sich unterdessen eine kleine
j Anzahl Aepfel aus, that sie, nebst einigen andern Kleinigkeiten
in ihren Korb, und rechnete zum wiederholten Male ihren noch
übrigen Bestand der Kasse nach. Vier blanke Sechser hatte sie
noch; aber sic hätte gern diese schönen neuen Geldstücke auf-
hcben möge», denn sie hatte für ihren Mann eine neue
Schnupftabakdose gekauft und sich vorgcnommen, ihm dieses blanke
Geld da hinein zu legen, damit er sich nach eigenem Gusto auch
eine ganze Büchse Tabak dazu kaufen könne.

Hinter ihrem Rücken rannten die Leute, die einen hin,
die anderen her, und alle waren voller Eile, denn in manchen
Häusern wurden die Fenster schon hell vom glänzenden,
j prachtvollen Schein der Christbäume. Männer und Frauen,

! alle suchten bald nach Hause zu komme», um dort noch die
letzte Hand an die Bcscheerung zu legen, die kleinen Wachs--
; kerzen aufzustecken und Dieses und Jenes noch hinzuhängen
j an den Baum oder das Bäumchen, je nachdem es die Um-
stände erlaubten.

Unter den Leuten, die so eilig dahin rannte», war auch
der Mr. Jean, ein ganz feiner Bediente, in langem blauem
Livree-Rock und einer weißen Halsbinde, die steif wie eine
Mauer, sein Kinn stützte. Vor sich trug er in beiden Händen
ein Packet; er hatte von seinem Herrn, dem als einen der
reichsten Cavaliere der Stadt bekannten Grafen von Hahnheim,
den Auftrag erhalten, dasselbe ja richtig und unbeschädigt in

den Gasthof zur goldenen Gans zu bringen und es dort auf
Zimmer Nro. 25 an Fräulein Kathinka Bulbo abzugebcn.
„Kadika Bulljon!" hatte sich der Bediente den Namen jenes
Fräuleins wiederholt, als er aus dem Zimmer des Grafen
getreten war und dabei schüttelte er nicht unbedeutend den
Kopf über diese gar so halsbrecherische Benennung.

Kathinka Bulbo war eine liebenswürdige junge Kunst-
! rciterin von der Truppe der anwesenden Gebrüder Franconi;
eine Deutsche, von Geburt hieß sie eigentlich Katharina
Zwiebel; aber mit solchem Namen kann sich doch ehrlicher
Weise kein Mensch auf's Pferd setzen und die Welt zu ent-
zücken glauben! das hatte sie auch eingesehen und sich nach
Künstlerart umgetauft, so daß sie jetzt zum Schrecken des
armen Mr. Jean nicht anders als, wie er sagte: „Kadika
Bulljon" hieß.

Wenn ihr Name auf dem Zettel stand, fehlte der Graf
an keinem Abende im Cirkus. Jenes Mädchen, klein, aber
mit vollem üppigem Körperbau, mit den noch ungeschminkten
blühenden Wangen und dem rabenschwarzen Haar, war aber
auch ganz danach, um sich sogleich beim ersten Anblicke tief
in das Herz eines jungen Kavaliers hineinzurcitcn. Wie hatte
sie vor wenigen Tagen erst das Publikum zur Bewunderung
hingerissen, und wie erst den Grafen entzückt! Wie war sie
dahingestürmt auf dem flüchtigen Rappen, der feurig und
pfeilschnell die Bahn durchschoß! Kaum wurde der Sattel be-
rührt von der Spitze ihres niedlichen Fußes, so flog auch, von
elastischer Federkraft cmporgchobcn, die schwebende Tänzerin
wieder hoch hinauf über des Pferdes Rücken. Es war eine
glänzende Vorstellung! Als „reine 6es lleurs" hielt sic eine
in einen Halbkreis gebogene Blumcnguirlandc mit beiden Händen
empor über das von schwarzen Locken umwehte Haupt und in
dem dunklen Haare glitzerten weiße Perlen, als seien von den
Blumen die Thautropfcn des Frühlings daraus hcrabgefallen.
Nun aber kniete sie, den Hals des dampfenden Pferdes streichelnd,
einen Augenblick nieder auf dessen Rücken. Die Musik ver-
stummte wenige Sekunden, um dann sogleich wieder in einem
schnelleren Tempo auf's Neue zu beginnen. Wieder begann des
Rosses Flug, wieder stand das Mädchen auf dem wogenden
Rücken desselben und wieder schwang sie in kühner Haltung
den Blumenreif bald stolz in die Luft, bald zog sie ihn eng
zusammen zu einem anmuthsvollen Rahme» um ihr blühendes
Gesicht. Jetzt wurden die schmale» Bretter in beträchtlicher Höhe
vom Boden in den Kreis geschoben und nun ging cs in wil-
den Sätzen über die Barrieren dahin, die die Bahn durch-
schnitten. Und bei den wilden Sprüngen deö schnaubenden
Rosses schwang mit lachender Miene die kühne Reiterin ihre
Blumen erst hoch in die Luft und dann abwärts; ein Sprung:
und sie war darüber! — Und wieder schwang sic den Reif
und wieder ein Sprung und abermals flog die elastische Ge-
stalt hoch empor über den Halbkreis von Blumen, den sic
unter ihren Füßen durchschwang. Aber dießmal, als sie nicdcr-
schwebte um des Pferdes Rücken zu betreten, da verfehlte ihr
Fuß den Sattel, das Pferd hatte einen Unrechten Schritt ge-
than, sie fiel. Schon vorher hatte den Zuschauern das Herz
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