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Ein Weihnachtsabend.

ein weiteres Unglück doch nicht passirt war; nur die Nüsse
waren hcrauSgcfallcn, und besudelt. „Die dürft Ihr behal-
ten!" sagte er zu dem alten, dienstfertigen Weibe, und eilte
dann schnell mit seinen znsammengcrafftcn Siebensachen in
einen nahe gelegenen Laden, um sich sowohl, wie auch das
Packet, dort wieder in Ordnung zu bringen.

Wie sah sein blauer Livree-Rock aus, und wie hielt der
Schmutz so fest! Die weiße Halsbinde war getigert; er wandte
sic um, und brachte dann das Packet wieder in seinen früheren
Stand. Statt der beschmutzten Nüsse, die herausgesallen waren,
that er neue in den kleinen Korb, packte ihn ein, ungefähr
so, wie er gewesen war, und — nun aber der Name! —
der war ihm jetzt ganz und gar aus dem dicken Kopfe hcrauS-
gefallcn; den wußte er nicht mehr, und er mußte sich darauf
beschränken, das Packet einfach auf Zimmer Nr. 25 in die
goldene Gans zu tragen.

Auf dem Christmarkte hatte sich die Menge schon beträcht-
lich vermindert; auch die Frau des Schreiners Meier, dessen
Wohnung sich in einem kleinen Hause der äußersten Vorstadt
befand, war von dem Stand der alten Verkäuferin wcggc-
gangen und auch sie eilte jetzt mit sorglichem Herzen, um bald
zu den Ihrigen zu kommen. Sic hatte ihre Ausgaben ge-
waltig beschränken müssen, und cs war nicht leicht zu überlegen,
wie sich das Wenige so werde eintheilen lassen, daß doch jedes
der Kinder sein Theil erhalte, und jedes von all' den Fünfen
seine Freude habe. Sic sann hin und her, und ging eben
so recht in sich selbst beschäftigt dahin, als ihr die Alte mit
dem braunen Mäntelchen und dem weit in's Gesicht gehenden
Tuch um den Kopf in den Weg trat. „Kaust mir doch die
Dinger ab!" sprach sie, und deutete aus die Nüsse, welche sic
von dem Bedienten erhalten hatte. „Ich habe keine Zähne
mehr für dergleichen," fügte sic bei, „und auch Niemand
mehr, dem ich eine Freude damit machen könnt'! Hab' sie
selbst geschenkt erhalten, und laß' sie Euch billig: Gebt mir,
was Zhr wollt dafür!" sagte sie dann und reichte der Ange-
redcten die Nüsse hin. Willig ließ diese sich dieselben in
ihre» Korb schütten, und gab, von innerlichem Mitleid ge-
trieben, der Alten einen von den schönen, blanken Sechsern
dafür. Rasch eilte sic weiter. „Die hat Niemand, und ich
Hab' meine Kinder doch!" sagte sie auf dem Wege still für
sich, und so brachte sic denn mehr mit »ach Hause, als sic
Anfangs gewollt hatte.

Hier angekomme» gab sie sich sogleich daran, den kleinen
Christbaum hcrznrichtcn; war er auch ganz von der kleinsten Art,
so freute sic sich doch für ihre Kinder, die jetzt zwei Weih-
nachten schon keinen Baum mehr gesehen hatten. „Die wer-
den springen und froh sein!" sagte sie bei der größten Ge-
schäftigkeit still für sich, und nun kam auch ihr Mann von
seiner Arbeit nach Hause. Einen kleinen Schubkarren brachte
er mit und für den ältesten Knaben auch ein nettes Fcdcr-
kästchcn, was er Alles selbst gemacht hatte.

Er half die kleinen Wachskerzen aufstecken, dann wurden
sic angezündet, und als der Baum in seinem vollen Glanze
auf dem Tische in der Mitte des Zimmers dastand, da schob

er seine Frau zur Thürc hin, und sprach: „Hol' jetzt die
Kinder von der Großmutter herüber; die werden schon fast
vor Ungeduld vergehen!" Die Frau aber machte sich noch hier
und dort etwas zu schaffen. „Hol'Du die Kinder!" sagte sic,
und stellte sich sehr beschäftigt; er ging nicht; und als er
nun seine Frau sanft beim Arm faßte mit den Worten: „So
geh' doch Du!" da sah ihn diese freundlich mit einer fragen-
den Miene an, und sagte: „Gewiß willst Du bleiben, um
für mich auch etwas herzulegen, das mich überraschen soll?"
Der Mann lachte still für sich. „Und Du," fragte er,
„warum willst denn Du Alte nicht gehen?" Diese erwiderte
kein Wort, sprang wie verjüngt zu ihrem Korbe hin, und

überreichte ihrem Manne dann mit einem tiefen Knir die

Dose, welche sie für ihn gekauft hatte. Nun zog auch er
ein Packet aus der weiten Rocktasche hervor, und gab es ihr.
„Ach, der schöne Stoff! das gibt eine warme Winterjacke!"
sprach die Frau. „Ich dank' Dir recht!" sagte sie dann,

und reichte ihm die Hand; er aber drückte sic fest an sich

und gab ihr schweigend einen recht herzlichen Kuß.

Nun wurden die Kinder geholt. Als die Thürc aufging
und sic alle neben einander dort standen, wie die Orgelpfei-
fen, wagte im ersten Augenblick keines von ihnen hercinzu-
trcten in die glanzerfüllte Stube. Dann aber ging cs über
die Sachen her. Vater und Mutter und Großmutter, alle
mußten zehnmal ansehen, was jedem das Christkindchen bc-
schcert hatte.

Bedachtsam wurden gar bald die Lichter am Baume
wieder ausgelöscht, damit am Weihnachtstage der Glanz noch
einmal erneuert werden könne. Der kleine Fritz hatte eine
Peitsche bekommen, und auf den Knice» des Vaters reitend
schnalzte er was das Zeug hielt. Dabei kam nun die Schnur
einmal dem Baum zu nahe, und eine von den vergoldeten
Nüssen fiel herunter. Schnell hatte Karl sie aufgegriffen.
„Gelt, die darf ich aufschlagen? die mach' ich auf!" rief er,
und trat mit dem Fuß darauf; die Schale krachte, und als
er jetzt den Kern aufhcbcn wollte, da war, welches Wunder!
— ein baumwollener Kern darin, und als er nun vor de»
erstaunten Blicken Aller den kleinen Büschel weißer Wolle
aufnahm vom Boden, da sielen mit Hellem Klang zwei blanke
Goldstücke heraus.

Der Schreiner warf einen fragenden Blick auf seine
Frau. Die saß dort wie aus den Wolken gefallen. „Zwei
blanke Dukaten!" sagte der Mann, „wo kommt denn das Geld
her?" fragte er mit einem unbehaglichen Ernst, und jetzt er-
zählte die Frau, wie sie zu den Nüssen gekommen war. „Wir
müssen sic aufheben," sprach der Mann, „es wird schon Nach-
frage danach kommen!" — Die Frau meinte nicht. „Wer
weiß," entgegnctc sic, „was.die Alte für eine verkleidete, vor-
nehme und reiche Person war, die einmal armen Leuten ein
frohes Weihnachtsfcst hat machen wollen." Er schüttelte den
Kopf; doch kam man überein, alle Nüsse zu öffnen, um zu
sehen, wie der Inhalt der andern sei. Krach! und wieder
sprang eine Schale entzwei, und wieder fiel das Helle Gold
heraus; und so aus allen zwanzig Nüssen. In einer derscl-
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