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Ve

zwei Schweine; Du hast gesehen, wie weit wir heute mit
dem einen gereicht haben, und das war doch ein Kapital-
Vieh. Die beiden, die wir noch stehen haben, werden sich
bis dahin noch recht hübsch anfressen! es sind doch ein Paar
gar zu niedliche Dinger, kanni zum Unterscheiden, eins genau
wie das andere — es ist ordentlich jammerschade, daß die so hin-
geschlachtet werden müssen."

Während sie so schwatzte und ihren Schlaftrunk zu sich
nahm, schichtete ihr Herr Gemahl, gewohnter Weise schweigend,
die Stühle übereinander und räumte ordentlich auf, bis er
endlich einen Augenblick Zeit fand zu bemerken: „Es ist doch
aber recht schändlich, daß man von dem eigenen Vieh- noch
die schwere Steuer bezahlen muß. Das nächste Mal geht es
also doppelt."

In dem Orte mußte nämlich Mahl- und Schlachtstcuer
für alle eingehenden Mehl- und Fleischwaaren bezahlt werden,
mithin waren alle Einwohner bei Strafe verpflichtet, im Fall
sie selbstgezogcnes Vieh schlachteten, dasselbe, wenn es anfgc-
hanen und ausgenommen war, nach dem Steueramte schaffen
zu lassen, wo es dann gewogen und der Steuersatz nach der
Taxe entrichtet wurde.

„Ja," rief die Wirthin aus, „es ist schändlich! Aber
laß mich nur machen, ich habe schon meinen Plan —den Steuer-
; Controlenr kann ich so nicht leiden, denn er hat innner-
! lvährend etwas zu mäkeln — wart', dem will ich einmal eine
' Nase drehen; der denkt immer, er hat die feinste und nichts
bleibt ihm verborgen, und er hat schon manchen armen Bürger
in Strafe gebracht, wenn er es mit dem Versteuern nicht genau
genug genommen hatte — aber er soll doch auch einmal an-
j geführt werden und sogar selbst von einem unversteuerten
! Schwein essen. Hahaha!" — So schwadronirte sie unermüdlich
! fort, bis der geduldige Ehemann mit seiner Arbeit fertig war
^ und beide sich zur Ruhe begaben.

In dem Wochenblatt, das am Andreastagc erschien, stand
mit großer Sperrschrift zu lesen:

„Enge Weste."

„Heute Abend frische Wurst."

Das war genug. Denn das Lokal war mit allen seinen
Vorzügen im Orte so bekannt, daß eine besondere Einladung
und Anpreisung, wie sie von andern Wirthen beliebt wurde,
hier vollständig überflüssig erschien.

Als am Morgen dieses Tages der Schlächter die beiden
Zöglinge unserer Wirthin abgethan hatte und dieselben, voll-
ständig hcrgcrichtet, in vier zum Verwechseln ähnliche Hälften
gehauen, am Nagel hingen, da rief die Frau ihren beiden
Knechten zu, zwei dieser Hälften anfzuladen und nach der
Stcueramtswage zu schaffen; sie selbst machte sich ans, die
Steuer dafür gleich am Orte zu entrichten und flüsterte ihrem
Manne zu, indem sie dem Schlächtergesellen ein Stlick Geld
- in die Hand drückte: „die beiden andern Halben hau'n wir
gleich entzwei, die werden nicht nach dem Steueramte geschafft;
denn wenn sie dort auch wissen, daß es bei uns heute Wurst
gibt, so können sie doch unmöglich ahnen, daß wir zwei Schweine
geschlachtet haben, und ist erst alles klein gemacht, dann müßte

rrechnet.

es mit dem Teufel zngehen, wenn die Spürnasen es noch
herauskriegten!" — Eine bescheidene Einwendung, die der
geliebte Ehemann zu wagen schien, erstickte sie mit der Erklär-
ung: „Genug, es wird bloß eins versteuert!" und zog eilends
den vorausgegangenen Knechten nach.

Auf dem Hofe des Amis angekommen, wo die Wage
stand, begegnete ihr der Steuer-Controlenr, der, wenn auch
nicht Stammgast, doch häufiger Besucher ihres Locals war.

— „Nun, Herr Controlenr," begann sie nach der gewöhn-
lichen Begrüßung, „werde doch auch die Ehre haben, heute
Abend zur frischen Wurst?"

„O gewiß, Tantchen, das letzte Mal war die Wurst ja
so vorzüglich; ich bin sicher da: aber ich bitte Sie, dafür zu
sorgen, daß ich noch eine Portion bekomme, ich kann heute
nicht so früh kommen."

„Haben Sie keine Sorge, Herr Controlenr, es wird
heute schon besser langen, das Schweinchen hat sich vorzüglich
geschlachtet — handhohen Speck — das werden Würstchen
zum Küssen."

Dadurch war der Beamte, der eben das Gebäude hatte
verlassen wollen, etwas anfgehalten worden, und die Knechte
traten, jeder ein halbes Schwein ans dem Rücken, ans dem
Wagehause.

„Sehen Sie das Prachtschwein," rief die Wirthin dem :
Beamten zu, während der eine der Knechte ihr den Wiege- !
zettel im Vorbeigehen übergab, „es ist wirklich sehenswerth ■

— so appetitlich und sauber!"

Nach einem flüchtigen Blick auf das gepriesene Thier
sagte der Steuercontroleur: „Bei Gott, Frau Tümmler, das
Thier ist nicht bloß sehenswerth, das ist ja ein ordentlich j
merkwürdiges Vieh; das müssen meine College» auch sehen.
„Holla," rief er, an das Fenster klopfend, „kommen Sie doch '
einmal heraus, meine Herren, ein höchsbmerkwürdiges Schwein!" I

— „Wieso merkwürdig?" meinte die Frau.

Mehrere der Steuerbcamteu traten in den Hof und Tante
Tümmler fühlte sich glücklich, allen so gelegentlich ihre per-
sönliche Einladung zu dem heutigen Wurstschmaus darbringen
zu können. Da begann der Controlenr: „Aber, Frau Tümm- >
ler, wird denn das Schwein auch langen?"

„O, wo denken Sie hin, sehen Sie den Wicgezettel, es
ist ja fast zwanzig Pfund schwerer als das vorige."

„Aber ich glaube, Sie würden Ihre Rechnung noch besser
finden, wenn Sie zwei Schweine schlachteten, denn Esser finden
sich bei Ihnen doch genug ein."

„Ja, das ivohl, aber wir können ja mehr wie zwei gar
nicht fett inachen, eins ist schon vor vierzehn Tagen verzehrt
und wenn >vir eins dazu kaufen müßten, dann könnten wir
nicht dabei bestehen. Nun macht aber, daß ihr nach Hanse
kommt," wandte sie sich zu den Knechten, die noch immer,
jeder sein halbes Schwein auf dem Rücken, wartend dastanden.

„Bleibt noch ein wenig da!" warf der Beamte ein und
fuhr lächelnd fort: „Meine Herren, ist es nicht höchst merk-
würdig, wenn ein Schwein zwei Schwänze hat? ■— Haben Sie
das nie an dem Vieh bemerkt, Frau Tümmler, als es noch lebte?"
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