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Croix de 1 Hvpocondre.
„Ich muß Dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit Du siehst, wie leicht sich's leben läßt."
Er aber schützte Schnupfen, Mageusäure und Engbrüstigkeit
vor. Ich sagte: das vergeht eben dort. Er aber sagte, er
litte auch an Verschleimung, Kolik und an Makrobiotik.
Gegen dieses letzte ließ sich allerdings am wenigsten eiuwenden;
denn das ist eine der gefährlichsten Krankheiten, höchstens in
den allerersten Stadien heilbar; wenn sie aber einmal recht
um sich gegriffen und in dem Menschen sich festgesetzt hat,
so ist er rettungslos verloren; er stirbt in der Blüthe seines
Lebens, etwa im achtzigsten oder neunzigsten Jahre, und man
hat nur wenig Beispiele, daß wirkliche Makrobiotiker ihr hun-
dertjähriges Dienstjnbilänm gefeiert haben.
Mein Kamerad ging also nicht mit; ich ging allein —
nicht nur diesmal, sondern noch oft. Ich ward immer ge-
sünder, er immer kränker. Ja, sogar jünger ward ich und
jugendlicher, so daß mich die Leute nicht mehr kannten und
I oft genug anstannten; meinen Kameraden dagegen plagten
alle möglichen Gebrechlichkeiten des Alters. Zwar wollt'
er mich oft ab- und zurückhalten und ich bekam noch manch-
mal makrobiotische Rückfälle; doch standhaft und beharrlich
siegte immer wieder meine gute Natur. Meine Zungenbe-
trachtuugcu, Pulsfühlungen -c. rc. verwandelten sich bald in
vernünftigere Beschäftigungen. Meine medizinische Bücher-
sammluug mußte zum Hause hinaus, ich verschenkte sic. Gott
verzeih' mir's, wenn ich dadurch einige Menschen unglücklich
gemacht. Voin Tode war keine Rede mehr, aber vom Leben.
..Nomento mori!" wischte ich weg und schrieb an die Stelle:
„Gedenke zu leben!" —•
Mein makrobiotischer Kumpan war indessen zu einem
körperlosen Schatten herabgesunken, was nicht zu verwundern,
indem ich ja all meine Schwindsüchten, Auszehrungen, Fieber
:c. rc. auf ihn abgelagert hatte. Immer seltcucr ließ er
sich bei mir blicken; zuweilen, etwa an recht trübseligen No-
vemberabenden vergönnt' ich ihm dann wohl aus alter An-
hänglichkeit noch einen vertraulichen Diskurs unter vier Augen;
denn man soll doch Niemand so urplötzlich ins Elend und
in die Fremde hinausstoßcn. Was er mir sehr übel nahm
und was ihm gewiß Podagra, Wadenkrainpf und Gelbsucht
zugezogen hat, das war meine immer zunehmende Reiselust.
Er sang mir, mit Unterbrechungspausen wegen Heiserkeit,
Husten und Asthma, Lieder vor, wie:
„Was willst Du in der Fremde thun?
Es ist ja hier so schön!" —
„Traute Heimath meiner Lieben!" —
„Herz, mein Herz, warum so traurig?" —
„Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!" —
„Was frag' ich viel nach Geld und Gut!" —
„Freund, ich bin zufrieden!" —
Aber ich sagte ihm kurz und ungebunden: Geliebter LcidenS-
bruder, wir müssen vollständig mit einander brechen! Auch
diese abendlichen Conventikelchen, wenn auch noch so selten,
taugen Nichts! Nicht nur von Tisch und Bett — wir müssen
vollständig geschieden sein. Willst Du zur Rechten, so will
ich zur Linken. Geh' hin und such' Dir einen Andern, mit
dem Du Dich associirst und der Deiner besser pflegen kann,
als ich. In Anbetracht aber Deiner langjährigen Dienstzeit
und Deiner wahrhaft rührende», unter sämmtlichen Stürmen
aller Natur- und Apothekeu-Elemente ausdauernden treuen
Anhänglichkeit an mich und mein Haus pensionirc ich Dich
mit vollem Gehalte, jedoch nur unter der Bedingung, daß
Du denselben außer Landes verzehrst und zwar allemal außer-
halb desjenigen Landes, in dem ich gerade weile. Ist Dir
das recht, so schlag ein — und dann auf Nimmerwiedersehen !
Während dieser salbungsvollen Rede fuhr er mehrmals
mit seinem schlotternden Rockärmel über die Augen; ich glaub',
er hat sich einige Thräneu getrocknet; er muß mich wirklich
sehr lieb gehabt haben. Jedoch mein Entschluß war gefaßt.
Hätt' er sich bei meiner doch ganz annehmbaren Bedingung
geweigert, ich sage Dir, noch an demselben Abend hält' ich
ihn — — —
Zögernd und zaudernd ging cr's endlich ein, sagte noch,
ich mög' ihm nur dann und wann schreiben, und ihn in
Kenntniß setzen von meinem Befinden. Wie er jedoch das
Wort „Befinden" aussprach, öffnete ich die Thüre, schob ihn
hinaus und rief ihm die denkwürdigen Abschiedsworte nach:
Befinden? Ich befinde mich gar nicht mehr! Ich
will mich nicht mehr befinden und ich brauch' mich
nicht mehr zu befinden! Leben Sic wohl! Damit
schlug ich die Thüre zu — fort war er.
Wie rochen die Blumen so gnt und wie schmeckte der
Wein so süß —wie war der Himmel so blau und wie war
die Erde so grün — wie schmeckte der Braten so delikat
und wie dampfte die Cigarre so aromatisch — wie waren
die Mädchen so hübsch und wie waren die Freunde so fidel
— wie war die Welt so schön und wie war das Leben so
wonnig — — als ich diesen bestialischen Kerl loö war, der
Croix de 1 Hvpocondre.
„Ich muß Dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit Du siehst, wie leicht sich's leben läßt."
Er aber schützte Schnupfen, Mageusäure und Engbrüstigkeit
vor. Ich sagte: das vergeht eben dort. Er aber sagte, er
litte auch an Verschleimung, Kolik und an Makrobiotik.
Gegen dieses letzte ließ sich allerdings am wenigsten eiuwenden;
denn das ist eine der gefährlichsten Krankheiten, höchstens in
den allerersten Stadien heilbar; wenn sie aber einmal recht
um sich gegriffen und in dem Menschen sich festgesetzt hat,
so ist er rettungslos verloren; er stirbt in der Blüthe seines
Lebens, etwa im achtzigsten oder neunzigsten Jahre, und man
hat nur wenig Beispiele, daß wirkliche Makrobiotiker ihr hun-
dertjähriges Dienstjnbilänm gefeiert haben.
Mein Kamerad ging also nicht mit; ich ging allein —
nicht nur diesmal, sondern noch oft. Ich ward immer ge-
sünder, er immer kränker. Ja, sogar jünger ward ich und
jugendlicher, so daß mich die Leute nicht mehr kannten und
I oft genug anstannten; meinen Kameraden dagegen plagten
alle möglichen Gebrechlichkeiten des Alters. Zwar wollt'
er mich oft ab- und zurückhalten und ich bekam noch manch-
mal makrobiotische Rückfälle; doch standhaft und beharrlich
siegte immer wieder meine gute Natur. Meine Zungenbe-
trachtuugcu, Pulsfühlungen -c. rc. verwandelten sich bald in
vernünftigere Beschäftigungen. Meine medizinische Bücher-
sammluug mußte zum Hause hinaus, ich verschenkte sic. Gott
verzeih' mir's, wenn ich dadurch einige Menschen unglücklich
gemacht. Voin Tode war keine Rede mehr, aber vom Leben.
..Nomento mori!" wischte ich weg und schrieb an die Stelle:
„Gedenke zu leben!" —•
Mein makrobiotischer Kumpan war indessen zu einem
körperlosen Schatten herabgesunken, was nicht zu verwundern,
indem ich ja all meine Schwindsüchten, Auszehrungen, Fieber
:c. rc. auf ihn abgelagert hatte. Immer seltcucr ließ er
sich bei mir blicken; zuweilen, etwa an recht trübseligen No-
vemberabenden vergönnt' ich ihm dann wohl aus alter An-
hänglichkeit noch einen vertraulichen Diskurs unter vier Augen;
denn man soll doch Niemand so urplötzlich ins Elend und
in die Fremde hinausstoßcn. Was er mir sehr übel nahm
und was ihm gewiß Podagra, Wadenkrainpf und Gelbsucht
zugezogen hat, das war meine immer zunehmende Reiselust.
Er sang mir, mit Unterbrechungspausen wegen Heiserkeit,
Husten und Asthma, Lieder vor, wie:
„Was willst Du in der Fremde thun?
Es ist ja hier so schön!" —
„Traute Heimath meiner Lieben!" —
„Herz, mein Herz, warum so traurig?" —
„Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!" —
„Was frag' ich viel nach Geld und Gut!" —
„Freund, ich bin zufrieden!" —
Aber ich sagte ihm kurz und ungebunden: Geliebter LcidenS-
bruder, wir müssen vollständig mit einander brechen! Auch
diese abendlichen Conventikelchen, wenn auch noch so selten,
taugen Nichts! Nicht nur von Tisch und Bett — wir müssen
vollständig geschieden sein. Willst Du zur Rechten, so will
ich zur Linken. Geh' hin und such' Dir einen Andern, mit
dem Du Dich associirst und der Deiner besser pflegen kann,
als ich. In Anbetracht aber Deiner langjährigen Dienstzeit
und Deiner wahrhaft rührende», unter sämmtlichen Stürmen
aller Natur- und Apothekeu-Elemente ausdauernden treuen
Anhänglichkeit an mich und mein Haus pensionirc ich Dich
mit vollem Gehalte, jedoch nur unter der Bedingung, daß
Du denselben außer Landes verzehrst und zwar allemal außer-
halb desjenigen Landes, in dem ich gerade weile. Ist Dir
das recht, so schlag ein — und dann auf Nimmerwiedersehen !
Während dieser salbungsvollen Rede fuhr er mehrmals
mit seinem schlotternden Rockärmel über die Augen; ich glaub',
er hat sich einige Thräneu getrocknet; er muß mich wirklich
sehr lieb gehabt haben. Jedoch mein Entschluß war gefaßt.
Hätt' er sich bei meiner doch ganz annehmbaren Bedingung
geweigert, ich sage Dir, noch an demselben Abend hält' ich
ihn — — —
Zögernd und zaudernd ging cr's endlich ein, sagte noch,
ich mög' ihm nur dann und wann schreiben, und ihn in
Kenntniß setzen von meinem Befinden. Wie er jedoch das
Wort „Befinden" aussprach, öffnete ich die Thüre, schob ihn
hinaus und rief ihm die denkwürdigen Abschiedsworte nach:
Befinden? Ich befinde mich gar nicht mehr! Ich
will mich nicht mehr befinden und ich brauch' mich
nicht mehr zu befinden! Leben Sic wohl! Damit
schlug ich die Thüre zu — fort war er.
Wie rochen die Blumen so gnt und wie schmeckte der
Wein so süß —wie war der Himmel so blau und wie war
die Erde so grün — wie schmeckte der Braten so delikat
und wie dampfte die Cigarre so aromatisch — wie waren
die Mädchen so hübsch und wie waren die Freunde so fidel
— wie war die Welt so schön und wie war das Leben so
wonnig — — als ich diesen bestialischen Kerl loö war, der
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Croix de l'Hypocondre"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 916, S. 26
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg