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Reisegeschicke eines jungen Ehepaares.
glich meinem Gatten, der doch vis-ä-vis von mir auf einem
Steinchen saß und ganz gemüthlich im Bädcker blätterte.
Das sind die Folgen der aufgeregten Phantasie! Ich seufzte
tief, und ersuchte meinen engelgnten, aber in sinnlichen Ge-
nüssen versinkenden Gatten, eine kleine Promenade hinter
das Buschwerk machen zu dürfen. Er nickte bejahend und
ich verfügte mich schnell hinter eine Stande, wo ich mich,
armgestützt, niedergoß und weinte. Die Gegend zu meinen
gekreuzten Füßen glänzte im sonnigen Untergang und ich
weinte. Zwei zarte Knaben von 7 bis 8 Jahren, welche
in meiner Nähe Ball spielten, gaben sich, plötzlich in Zorn
gcrathen, Ohrfeigen und streckten sich die Zunge entgegen
und ich weinte. Drei Ziegen meckerten mich im Vollgefühle
ihres irdischen Behagens an und ich weinte. Ein blondge-
lockter Künstler trat mit einem Papiere ans einer cphennm-
rankten Rninenabtheilnng hervor und ich weinte noch mehr,
indem ich unwillkürlich eine sprechende Stellung des Schmerzes
annahm. Der Künstler nahm einen Crayon hervor, und
meine Thränen stockten. Er begann zu zeichnen, und sie
stockten noch mehr. Ach! Sie stockten endlich so sehr, daß
ich mein Taschentuch hervorziehcn mußte, um die leider gerade
jetzt so nnapropoe Stockung meiner Leiden zu verbergen.
Er zeichnete sprachlos, — ich lauschte regungslos. Endlich
war die Sonne vom Horizonte geschwunden, die zarten
Knaben hatten sich ansgcohrfeigt und die harmlosen Ziegen
stellten in der Dämmerung ihr Meckern, immer mehr mezza
voce-er werdend, endlich ganz ein. Der Künstler ließ das
Blatt sinken und verschwand wieder hinter einer zweiten
ephennmrankten Rninenabtheilnng. Ich erhob mich lauschend,
erhob das Blatt vom feuchten Grunde, erhob meinen Blick,
meinen nun ganz anfgetrockncteu Blick znm gestirnten Himmel
und war befriedigt. Der gemüthreiche Künstler hatte die
ganze Szene conccpirt. Den Sonnenuntergang, die ohrfei-
genden Knäbchen, die meckernden Ziegen, das Schloß Heidel-
berg und mich darauf in der ganzen Größe meines Schmerzes
sitzend. Hier schicke ich Dir das höchst interessante Bild!
„Bin ich gleich nicht ansgchanen
„Hoch in Marbel oder Gyps,
„Kann mich doch Dein Auge schauen,
„Trauernd um des Lebens Trüb's!"
Der letzte Reim hat mir viel Mühe gekostet, aber da ich
keinen andern fand, um Dir meinen Gedanken klar zu machen,
so benützte ich jene goldene Freiheit im Reimen, welche man
poetische Licenz nennt, und heute zu Tage besonders bei den
genialen Nachahmern Heines im Schwange ist. — Zorn-
: geröthet trat mein engelguter Gatte, dessen Geduld nach
j einer Stunde endlich gerissen war, ans mich zu und sprach:
„Liebe Laura, wäre es Dir nicht angenehm, jetzt nach Hanse
zu gehen? Du könntest Dich erkälten, da es plötzlich so feucht
geworden ist." Durch diese unerwartete Milde ward ich so
gerührt, daß ich in tausend Thränen ihm um den Hals
! stürzte, und mich mit bewegter Seele in den Gasthof ver-
fügte, wo wir einen deliciosen Rinderbraten schäckernd mit
einander genossen. Mein engelgnter Gatte legte mir die
zärtesten Bissen vor und ich lächelte über meine vorhinenen
Thränen. Ich war wieder recht gerne verheirathct und wünschte
Dir von ganzem Herzen auch einen Mann. Es ist sonderbar,
daß die Abendstunden so still versöhnend ans mein Herz
wirken! Adieu, ich bin völlig zerzaust durch die widersprech-
endsten Empfindungen. Mein Seelenleben ist ein Chaos ge-
worden, die stille schmachtende Laura sitzt mitten darin und
kennt sich gar nicht ans. 0'est Io mustere ds la vis
Immains! Am andern Morgen gingen wir schnellst nach
Handschnhheim, allwo die Duelle der Heidelberger Studenten
täglich mehrere Male abgehalten werden. Doch sah ich leider
keines, was mich doch so angenehm agitirt hätte, und zu
einer Rciscbeschreibnng von Handschnhheim gehört. — Ich
sehnte mich sehr nach Worms zu kommen, um dort einige
Ueberbleibscl der Nibelungen sehen zu können. Ich übergehe
daher meine Zwischenrcisc und führe dich alsoglcich im Geiste
in die altersgraue Stadt und in deren alterthümliche Ge-
gend. Von den Nibelungen sieht man eigentlich blutwenig,
aber der schöne Gedanke, dieselbe Luft cinznathmen, welche
ich einst mit Chrimhilden in Pcchlarn an der Donau und
in Wien eingeathmet hatte, entzückt doch die lauschende Seele.
Mein engelgnter Gatte litt noch an den Folgen einer Er-
kältung und konnte sich nicht weit vom Hotel entfernen. Ich
miethcte mir daher- einen Cicero in Gestalt eines rothbäckigen
Jünglings von sechzehn Jahren, welcher mir und meinem
Gatten die Stiefel geputzt hatte, und erging mich mit ihm in
leider nur schalen Gesprächen über Einst nud Jetzt. Der
Cicero konnte mir leider über gar nichts Auskunft geben.
Ich fragte ihn znm Beispiel, wo Chrimhilde ihre Wittwcn-
bnrg gehabt habe. Der Jüngling stutzte höchst thöricht, und
meinte, ich meinte die Frau von Wolzogen, die Brant
Schillers! des Dichters, nach welcher ihn unlängst ein
thörichter Oommis voyageur gefragt hätte. „Jndignc!" rief
ich indignirt ans, und schritt stutzend weiter. Von Seite
der Regierung scheint aber auch gar nichts zn geschehen;
da wird nirgends etwas Nibelnngischcs ansgegraben. Auch
scheint die Erziehung der Wormser Jugend in historischer
Hinsicht empörend mangelhaft zu sein. Nicht einmal mein
Cicero wußte etwas Näheres von Hagen zu sagen. Er
stutzte fortwährend, wenn ich ihn über Rüdiger, über Giselak
und Volker befragte. Und dennoch pilgern alljährlich hun-
derttausende von deutschen Gemülhern nach Worms ä cause
des Nibelongues! Könnte nicht eine patriotische Gesellschaft
die Sache ans Aktien in Angriff nehmen, und Nachgrabungen
veranlassen? In Rom lassen Päbste und protestantische Kunst-
kenner nachgraben. Dort wird man völlig verachtet, wenn
man nicht seinen Herknlcskopf oder wenigstens einen alten
Dukaten ans den Zeiten des Nomnlus und NufnS ansge-
graben hat. Erst kürzlich las ich in einer Zeitung, daß es
kaum einen Pabst gegeben hätte, der nicht ein Museum
für Antiquität gegründet und in Germaniens heiligen Wäldern
läßt man die Schätze der Vergangenheit schamlos ruhen und
baut Eisenbahnen und Fabriken. Wär' ich eine Vcllcda!
Ich würde die schlummernden deutschen Fürsten mit meinem
Reisegeschicke eines jungen Ehepaares.
glich meinem Gatten, der doch vis-ä-vis von mir auf einem
Steinchen saß und ganz gemüthlich im Bädcker blätterte.
Das sind die Folgen der aufgeregten Phantasie! Ich seufzte
tief, und ersuchte meinen engelgnten, aber in sinnlichen Ge-
nüssen versinkenden Gatten, eine kleine Promenade hinter
das Buschwerk machen zu dürfen. Er nickte bejahend und
ich verfügte mich schnell hinter eine Stande, wo ich mich,
armgestützt, niedergoß und weinte. Die Gegend zu meinen
gekreuzten Füßen glänzte im sonnigen Untergang und ich
weinte. Zwei zarte Knaben von 7 bis 8 Jahren, welche
in meiner Nähe Ball spielten, gaben sich, plötzlich in Zorn
gcrathen, Ohrfeigen und streckten sich die Zunge entgegen
und ich weinte. Drei Ziegen meckerten mich im Vollgefühle
ihres irdischen Behagens an und ich weinte. Ein blondge-
lockter Künstler trat mit einem Papiere ans einer cphennm-
rankten Rninenabtheilnng hervor und ich weinte noch mehr,
indem ich unwillkürlich eine sprechende Stellung des Schmerzes
annahm. Der Künstler nahm einen Crayon hervor, und
meine Thränen stockten. Er begann zu zeichnen, und sie
stockten noch mehr. Ach! Sie stockten endlich so sehr, daß
ich mein Taschentuch hervorziehcn mußte, um die leider gerade
jetzt so nnapropoe Stockung meiner Leiden zu verbergen.
Er zeichnete sprachlos, — ich lauschte regungslos. Endlich
war die Sonne vom Horizonte geschwunden, die zarten
Knaben hatten sich ansgcohrfeigt und die harmlosen Ziegen
stellten in der Dämmerung ihr Meckern, immer mehr mezza
voce-er werdend, endlich ganz ein. Der Künstler ließ das
Blatt sinken und verschwand wieder hinter einer zweiten
ephennmrankten Rninenabtheilnng. Ich erhob mich lauschend,
erhob das Blatt vom feuchten Grunde, erhob meinen Blick,
meinen nun ganz anfgetrockncteu Blick znm gestirnten Himmel
und war befriedigt. Der gemüthreiche Künstler hatte die
ganze Szene conccpirt. Den Sonnenuntergang, die ohrfei-
genden Knäbchen, die meckernden Ziegen, das Schloß Heidel-
berg und mich darauf in der ganzen Größe meines Schmerzes
sitzend. Hier schicke ich Dir das höchst interessante Bild!
„Bin ich gleich nicht ansgchanen
„Hoch in Marbel oder Gyps,
„Kann mich doch Dein Auge schauen,
„Trauernd um des Lebens Trüb's!"
Der letzte Reim hat mir viel Mühe gekostet, aber da ich
keinen andern fand, um Dir meinen Gedanken klar zu machen,
so benützte ich jene goldene Freiheit im Reimen, welche man
poetische Licenz nennt, und heute zu Tage besonders bei den
genialen Nachahmern Heines im Schwange ist. — Zorn-
: geröthet trat mein engelguter Gatte, dessen Geduld nach
j einer Stunde endlich gerissen war, ans mich zu und sprach:
„Liebe Laura, wäre es Dir nicht angenehm, jetzt nach Hanse
zu gehen? Du könntest Dich erkälten, da es plötzlich so feucht
geworden ist." Durch diese unerwartete Milde ward ich so
gerührt, daß ich in tausend Thränen ihm um den Hals
! stürzte, und mich mit bewegter Seele in den Gasthof ver-
fügte, wo wir einen deliciosen Rinderbraten schäckernd mit
einander genossen. Mein engelgnter Gatte legte mir die
zärtesten Bissen vor und ich lächelte über meine vorhinenen
Thränen. Ich war wieder recht gerne verheirathct und wünschte
Dir von ganzem Herzen auch einen Mann. Es ist sonderbar,
daß die Abendstunden so still versöhnend ans mein Herz
wirken! Adieu, ich bin völlig zerzaust durch die widersprech-
endsten Empfindungen. Mein Seelenleben ist ein Chaos ge-
worden, die stille schmachtende Laura sitzt mitten darin und
kennt sich gar nicht ans. 0'est Io mustere ds la vis
Immains! Am andern Morgen gingen wir schnellst nach
Handschnhheim, allwo die Duelle der Heidelberger Studenten
täglich mehrere Male abgehalten werden. Doch sah ich leider
keines, was mich doch so angenehm agitirt hätte, und zu
einer Rciscbeschreibnng von Handschnhheim gehört. — Ich
sehnte mich sehr nach Worms zu kommen, um dort einige
Ueberbleibscl der Nibelungen sehen zu können. Ich übergehe
daher meine Zwischenrcisc und führe dich alsoglcich im Geiste
in die altersgraue Stadt und in deren alterthümliche Ge-
gend. Von den Nibelungen sieht man eigentlich blutwenig,
aber der schöne Gedanke, dieselbe Luft cinznathmen, welche
ich einst mit Chrimhilden in Pcchlarn an der Donau und
in Wien eingeathmet hatte, entzückt doch die lauschende Seele.
Mein engelgnter Gatte litt noch an den Folgen einer Er-
kältung und konnte sich nicht weit vom Hotel entfernen. Ich
miethcte mir daher- einen Cicero in Gestalt eines rothbäckigen
Jünglings von sechzehn Jahren, welcher mir und meinem
Gatten die Stiefel geputzt hatte, und erging mich mit ihm in
leider nur schalen Gesprächen über Einst nud Jetzt. Der
Cicero konnte mir leider über gar nichts Auskunft geben.
Ich fragte ihn znm Beispiel, wo Chrimhilde ihre Wittwcn-
bnrg gehabt habe. Der Jüngling stutzte höchst thöricht, und
meinte, ich meinte die Frau von Wolzogen, die Brant
Schillers! des Dichters, nach welcher ihn unlängst ein
thörichter Oommis voyageur gefragt hätte. „Jndignc!" rief
ich indignirt ans, und schritt stutzend weiter. Von Seite
der Regierung scheint aber auch gar nichts zn geschehen;
da wird nirgends etwas Nibelnngischcs ansgegraben. Auch
scheint die Erziehung der Wormser Jugend in historischer
Hinsicht empörend mangelhaft zu sein. Nicht einmal mein
Cicero wußte etwas Näheres von Hagen zu sagen. Er
stutzte fortwährend, wenn ich ihn über Rüdiger, über Giselak
und Volker befragte. Und dennoch pilgern alljährlich hun-
derttausende von deutschen Gemülhern nach Worms ä cause
des Nibelongues! Könnte nicht eine patriotische Gesellschaft
die Sache ans Aktien in Angriff nehmen, und Nachgrabungen
veranlassen? In Rom lassen Päbste und protestantische Kunst-
kenner nachgraben. Dort wird man völlig verachtet, wenn
man nicht seinen Herknlcskopf oder wenigstens einen alten
Dukaten ans den Zeiten des Nomnlus und NufnS ansge-
graben hat. Erst kürzlich las ich in einer Zeitung, daß es
kaum einen Pabst gegeben hätte, der nicht ein Museum
für Antiquität gegründet und in Germaniens heiligen Wäldern
läßt man die Schätze der Vergangenheit schamlos ruhen und
baut Eisenbahnen und Fabriken. Wär' ich eine Vcllcda!
Ich würde die schlummernden deutschen Fürsten mit meinem